Keine Chance für deutsche Männer

Eine neue Studie der Bundesausländerbeauftragten Marieluise Beck zeigt: Junge Türkinnen wollen mehrheitlich keinen deutschen Ehemann, aber einen guten Schulabschluss. Eine arrangierte Heirat lehnen sie überwiegend ab

AUS BERLIN COSIMA SCHMITT

Marieluise Beck setzt auf Fakten in Zeiten erregter Debatten. Beim Reizthema Integration würden „die Türken als scheinbar problematischste Gruppe hochgespült“. Jetzt will die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung dem schnellen Urteil mit fundierter Forschung begegnen. Gestern stellte die grüne Politikerin in Berlin eine Studie vor, die als erste umfassend untersucht, wie junge Migrantinnen leben. Sie soll eine Kernfrage klären: Werden Mädchen türkischer Herkunft stärker unterdrückt als andere Migrantinnen?

Die Autoren der Studie „Viele Welten leben“ befragten 950 Migrantinnen im Alter zwischen 15 und 21 Jahren – Frauen türkischer, griechischer, italienischer und ehemals jugoslawischer Herkunft sowie Aussiedlerinnen. Auftraggeber war das Bundesfamilienministerium.

Die Antworten zeichnen ein vielschichtiges Bild: Die Mädchen fühlen sich meist ihrer Herkunftskultur zugehörig. Ihre besten Freundinnen sind andere Migrantinnen. Kontakte zu Deutschen sind selten, selbst auf dem Schulhof oder im Sportverein. Gerade junge Türkinnen wollen keinen deutschen Ehemann. Wie die übrigen Migrantinnen sind sie stark familienorientiert.

Und doch möchten Migrantinnen in der Regel auf Dauer in Deutschland leben. Sie finden es wichtig, gut Deutsch zu sprechen und ihre Kinder zweisprachig zu erziehen. Trotz der meist mäßigen Lebensumstände – kleine Wohnungen, wenig Geld – sind die meisten mit ihrem Leben zufrieden. Ihr Frauenbild ist modern: Nur ein Viertel der Befragten befürwortet die traditionellen Geschlechterrollen. 79 Prozent sehen im Beruf den Königsweg zur Unabhängigkeit. Selbst unter den türkischstämmigen Mädchen können sich lediglich 11 Prozent eine arrangierte Ehe vorstellen. Die Türkinnen seien im Schnitt zwar etwas „weniger rebellisch“ und stärker religiös. Aber, so die Bilanz der Forscher: Die Probleme, die die Frauen beklagen, sind eher migrantenspezifisch als „typisch türkisch“. So berichten türkischstämmige Mädchen und Aussiedlerinnen über sehr ähnliche Erfahrungen. Die Interviewer stellten fest, dass Türkinnen nicht häufiger als andere über Schikane im Elternhaus klagten. Sie fühlten sich dort seltener schlecht behandelt als etwa die Italienerinnen.

Ein Wunsch immerhin eint fast alle Migrantinnen: der nach Bildung. Die meisten der jungen Frauen wünschen sich einen guten Schulabschluss, ergab die Studie, mehr als deutsche Jugendliche vergleichbarer sozialer Schichten. Und häufiger als bei diesen glückt der Aufstieg: Jedes dritte kaum gebildete Migrantenpaar hat Töchter, die einen hohen Schulabschluss erreichen. Noch werden sie dabei zu wenig unterstützt, kritisiert Beck: „Wir geben mit unserem Schulsystem jungen Migrantinnen nicht die Möglichkeiten, die sie sich wünschen.“ Die meisten der Mädchen stammen aus bildungsfernen Schichten, sie bräuchten Ganztagsschulen und Kurse für Deutsch als Zweitsprache. „Die Motivation ist hoch – aber die Mädchen brauchen auch eine Chance“, fordert Beck.