Ein Dialog der Kulturen am Bosporus

Nach dem Schock vom 11. September setzt die Türkei verstärkt auf den Austausch zwischen Europa und der arabischen Welt

ISTANBUL taz ■ Es war im Februar 2002. Die rauchenden Trümmer in New York und Washington waren noch allen frisch im Gedächtnis, als sich im feudalen Ciragan-Palast in Istanbul eine illustre Runde von bald 100 Außenministern aus Ost und West versammelte. Die türkische Regierung hatte zum ersten großen islamisch-europäischen Dialog nach dem Terrorschock vom 11. September 2001 gebeten, und fast alle waren gekommen. Erstmals in der jüngeren Geschichte nutzte die Türkei aktiv ihre Rolle als Brücke zwischen der europäischen und islamischen Welt. Als ein Land, das sowohl in der Nato und in diversen europäischen Institutionen wie auch im OIC, dem Weltkongress islamischer Staaten, vertreten ist, lud der damalige türkische Außenminister Ismail Cem alle Kollegen zum Treffen an die Nahtstelle zwischen Orient und Okzident nach Istanbul.

Für den deutschen Außenminister Fischer war es eine glänzende Gelegenheit, sich mit vielen Kollegen, die er sonst nur äußerst selten zu Gesicht bekommt, auszutauschen, und alle gemeinsam lauschten sie den Ausführungen des britischen Nahostexperten Bernard Lewis, der daran erinnerte, dass Orient und Okzident eine lange, teils sehr fruchtbare gemeinsame Geschichte haben. Dialog statt Kampf der Kulturen, das Treffen wurden von allen Beteiligten hoch gelobt.

In diesem Jahr sollte eigentlich im Juni eine Fortsetzung stattfinden, doch das Treffen scheiterte an formalistischen Fingerhakeleien. Weil Nordzypern, das innerhalb des OIC als eigenständige Organisation vertreten ist, mit diesem Status auch nach Istanbul reisen wollte, lehnte die holländische Ratspräsidentschaft eine Teilnahme der EU-Außenminister ab. Trotzdem hat sich die Rolle der Türkei als Brücke zwischen West und Ost in den letzten zwei Jahren weiter verfestigt.

Während es bei früheren OIC-Treffen häufiger zu Spannungen wegen der guten Beziehungen der Türkei zu Israel kam, wurde im Juni dieses Jahres erstmals seit Bestehen des Weltkongresses der islamischen Staaten ein Türke zum Generalsekretär der Organisation gewählt. Der türkische Wissenschaftler Ekmele Ihsanoglu, Leiter des Forschungszentrums für islamische Geschichte, Kunst und Kultur, konnte seinen Vorgänger aus Marokko nicht zuletzt deshalb ablösen, weil zwei Mitbewerber für den Posten aus Bangladesch und Malaysia zu seinen Gunsten verzichteten – das OIC wollte ausdrücklich mit seiner Wahl ein Signal der Verständigung an Europa und die USA aussenden.

Hilfreich für die Rolle als Maklerin zwischen zwei Welten ist es auch, dass die Türkei derzeit von einer Mannschaft regiert wird, die ursprünglich aus der islamistischen Bewegung kommt und darum mit mehr Legitimation als ihre Vorgängerinnen innerhalb der islamischen Welt zu Selbstkritik und Reformen aufrufen kann. Entscheidet sich die EU jetzt für den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, wird diese ihren Einfluss in der muslimischen Welt mit umso mehr Gewicht wahrnehmen können. JÜRGEN GOTTSCHLICH