„Nie heimisch geworden“

INTERVIEW JAN FREITAG

taz: Herr Brussig, Wendegeschichten spielen sonst im Osten.

Thomas Brussig: Ja, aber nicht nur. Ich denke, dass alle Deutschen irgendwie Erinnerungen an 1989/90 haben, die genau in diese Zeit gehören und nicht vergessen werden. Und wenn es eben einfach die ist, dass plötzlich die ganze Mischpoke aus dem Osten vor der Haustür stand. Dann ist das eben eine Wendegeschichte, die im Westen spielt. Im Osten war sicher mehr los, aber das heißt nicht, dass diese Zeit für Westler uninteressant wäre.

Ist „Heimat 3“ also ein Wendefilm oder spielt er nur zufällig um 1990?

Zufällig nicht. Wir haben lange überlegt, wie wir „Heimat 3“ aufziehen können und dabei festgestellt, dass die Wende ein Startpunkt für viele neue Geschichten war, und die haben wir uns für „Heimat 3“ zunutze gemacht.

Und Sie als Co-Autor aus der DDR waren zuständig für die Ostsicht?

Das ist eine Verkürzung; wir hatten ja keinen Dienstplan, wo drinstand, die Ostaufsicht liegt bei Brussig. Aber als Edgar Reitz mir anbot, mit ihm zu arbeiten, hat er gesagt, er kenne sich mit dem Osten viel zu wenig aus, das internationale Publikum erwarte aber von einem Reitz-Film, dass der Osten eine Rolle spielt.

Hätte es „Heimat 3“ auch ohne Wende gegeben?

Es stand überhaupt nicht fest, dass „Heimat 3“ gemacht wird. Auch nach vier Jahren Zusammenarbeit nicht. Das Projekt war lange Zeit vom Scheitern bedroht. Nicht, weil wir uns nicht verstanden hätten, sondern große Probleme mit dem deutschen Fernsehen hatten.

Welcher Art?

Die hatten bestimmte Vorstellungen, wie es aussehen … Nee, die hatten nicht mal Vorstellungen, sondern sind mit ihrem Fernsehverstand und -vokabular da rangegangen. Es ging darum, die Primetimefähigkeit des Stoffes zu gewährleisten und so ein Käse.

Wie sollte die aussehen?

Das habe ich wieder vergessen, weil uns in den Momenten oft die Haare so zu Berge standen, dass wir uns damit nicht weiter auseinander setzen konnten. Letztlich ist aber der Film daraus geworden, den Edgar Reitz wollte. Die Fernsehleute waren allein von irgendwelchen Quotenfantasien besessen. Lieber heute eine Quote von 30 Prozent und morgen wieder vergessen, als mit einer Quote von 20 Prozent in zehn Jahren zu den Fernsehereignissen gezählt zu werden, die haften blieben. Edgar Reitz hat eine eigene Ästhetik. Ich halte ihn für ein Genie, für einen Menschen, der Film so denkt, als wären die filmischen Erzählweisen noch längst nicht festgelegt. Was zum Beispiel geschieht dadurch, dass er in seinen Filmen keine Stars einsetzt? Der Schauspieler verschmilzt mit der Rolle. Wir sehen nicht Götz George bei der Arbeit zu, und am Ende des Films behalten wir den Namen der Rolle, nicht die des Schauspielers. Diesen Stil des Authentischen hat er in einem Maße entwickelt, das in der Filmgeschichte ohne Beispiel ist. Für so was haben Fernsehleute überhaupt keine Sensibilität, geschweige denn, eine Begeisterung. Dass Reitz einen Reitz-Film macht, ist eher als Problem gesehen worden.

Dabei sollte man beim Erfolg von „Heimat“ annehmen, er besäße Narrenfreiheit.

„Heimat“ war ein Riesenerfolg, „Zweite Heimat“ war von den Quoten her ein Debakel. Die Erlöse aus den Auslandsverkäufen waren zwar fantastisch für das deutsche Fernsehen – und trotzdem wurde „Die Zweite Heimat“ als ein Fall dargestellt, der sich nicht wiederholen darf.

Folgt die Skepsis dem Glauben an alte Heimatfilme, die den Zuschauern eine Wattewelt ins Wohnzimmer liefert?

In einer Branche, in der sich alle durch die Fernseh- und Kinolügen hangeln, bekommt man Probleme, wenn man plötzlich das Leben und das Erlebte ernst nimmt. Es ist nicht so einfach, dass die Zuckerwatte wollten und wir Härte und Tristesse – nee, nee. Aber dass zum Beispiel ein Künstlerpaar nicht unbedingt schrill, kapriziös und exaltiert ist – großes Problem.

Wie wichtig ist der Begriff Heimat im neuen Teil?

Als ich angefangen habe, hatte der Film noch den Titel „Heimat 2000“, den ich nach wie vor als den besseren empfinde. Eigentlich das Einzige, wo ich mit Edgar nicht einig bin. „Heimat 2000“ finde ich besser, weil da ein archaischer Begriff mit einem Trendbewusstsein gekreuzt wird, was ein Kommentar auf die Zeit überhaupt ist – wo alles zur Mode, zum Trend wird. Doch da hatte ich Vertrauen zu Edgar, dass wir, ohne jetzt eine Philosophie von Heimat zu haben, Geschichten erzählen, die in diese Zeit passen und dieser Zeit entspringen und schauen, ob sich da etwas zusammenschiebt. Wir hatten keine Thesen, keine Ideologie, sondern haben unschuldig erzählt. Ob das dem Begriff Heimat entspricht, werden uns die Leute hinterher schon sagen.

Also Heimat als Bauchbegriff.

Das ist er ja immer. Ein gefühlsbetonter, fast mythologischer.

Was bedeutet er Ihnen?

Heimat ist etwas, wogegen ich mich wehre und gleichzeitig nicht wehren kann. Diesen Widerwillen empfinden viele. Er ist hoch ambivalent und geschunden, missbraucht von der Unterhaltungsindustrie und von Ideologien, auch von der, unter der ich aufgewachsen bin.

Viele Ostdeutsche sehnen sich nach ihrer DDR. Ist das ein Bedürfnis nach Heimat?

Es hat damit zu tun. Die Welt, in der man sich auskannte, ist für viele zusammengebrochen, weggefegt worden und durch etwas ersetzt, was kalt funktioniert, wo man nie recht heimisch wird. Ich glaube genau deshalb nicht, dass sich die Ostdeutschen nach der DDR sehnen. Sondern nach Heimat.

Auf Ihrer Homepage steht, Heimat sei neben Freiheit das meistmissbrauchte Wort. Welches wurde seit der Wende mehr missbraucht.

Da hab ich keine Strichliste geführt, aber ich habe nicht das Gefühl, dass Heimat seit der Wende ganz besonders missbraucht wurde. Dann doch eher Freiheit. Der Begriff Heimat ist so lange missbraucht worden, dass er längst als entlarvt gilt. Das Verdienst von Edgar Reitz ist, dass er dem Begriff seine Lebensfähigkeit zurückgegeben hat.

Dafür fehlt bei „Heimat 3“ Ihr Humor aus „Sonnenallee“ oder „Helden wie wir“.

Das stand nie zur Debatte. Und ich habe die Filme von Edgar Reitz auch zu sehr bewundert, um ihm da meinen Stil beizubringen. Ich hab mich da eher wie ein Meisterschüler gefühlt und am Anfang gar nicht geglaubt, dass es etwas gibt, das ich mit Gewinn beisteuern könnte.

Wo finden Sie sich dennoch wieder?

Wissen Sie, ich fand es immer gut, dass Lennon und McCartney nie gesagt haben, wer was geschrieben hat. Aber als ich den Film das erste Mal gesehen habe, hab ich nur gedacht, das kann doch nicht sein, dass ich bei einem so schönen Film am Drehbuch mitgeschrieben habe.

Edgar Reitz sagt, ein vierter Teil sei denkbar.

„Heimat“ kann weitergehen wie auch das Leben weitergeht. Ich bin glücklich, dass ich mit ihm arbeiten konnte, und dass die Arbeit an ein Ende gekommen ist. Ich glaube nicht, dass er bereit wäre, unter den Bedingungen wieder einen Film zu machen, dass er so die Hosen runterlassen, sich so anzweifeln lassen und als Bittsteller auftreten muss.

Nach Ihrem Loblied auf Edgar Reitz zu urteilen, würden Sie zu Fuß nach München laufen, wenn er Sie für eine Fortsetzung wollen würde.

Ich bin glücklich mit „Heimat 3“ und mache ungern dasselbe zweimal.