schwabinger krawall: beförderungserschleichung von MICHAEL SAILER
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Irgendwie hat der Kevin den ganzen Morgen über das Gefühl gehabt, dass es wegen irgendwas ein Donnerwetter geben wird. Aber erst wie er in der Trambahn sitzt und plötzlich ein Mann harsch „So! Die Fahrscheine vorzeigen!“ bellt, fällt ihm ein, dass seine Schülermonatskarte im Turnbeutel ist und er den Turnbeutel gestern beim Hakan liegen hat lassen, weil er den Legokasten mit dem Hyperraumbomber mitnehmen wollte, und jetzt versteht er, wieso der Vater vom Hakan gesagt hat, in dem Plan, dass der Hakan ihm den Turnbeutel mit in die Schule bringt, ist der Wurm drin.

Der Kevin macht sich noch kleiner, als er sowieso ist, und eine alte Frau hinten neben dem Stempelautomaten zischelt zu ihrer Sitznachbarin, es sei unhöflich, dass der Kontrolleur nicht einmal „Grüß Gott“ oder irgendwas sagt, und da vergehe ihr jede Lust, den sowieso sündteuren Fahrschein aus der Tasche herauszuwursteln. Die Nachbarin meint, die Kontrolleure seien generell so unverschämt, dass man sich wie ein Verbrecher vorkomme, bloß weil man mit der Trambahn fährt. Der Kontrolleur sagt noch einmal „So! Fahrscheine!“, und derweil sieht der Kevin, wie der Elisabethplatz in Zeitlupe näher rückt, und sein Gesicht glüht wie ein Ofen.

Ob er noch nie gehört habe, dass man „Bitte“ sagt, brüllt ein Herr mit Hut und Gamsbart, und der Kontrolleur sagt, er solle sich raushalten, er sei noch nicht dran. Die alte Frau macht keine Anstalten, ihre Tasche auch nur zu öffnen, derweil ihre Sitznachbarin zischt, sie kenne ihre Rechte und lasse sich nur von einer Frau kontrollieren. Ob es Probleme gebe, ruft ein zweiter Kontrolleur aus dem vorderen Wagenteil. Sein Kollege antwortet, er habe die Sache im Griff, und da täuscht er sich gewaltig, was ihm klar wird, als ihm die alte Frau ans Schienbein tritt, woraufhin der Herr mit dem Gamsbart brüllt, was ihm einfalle, hier die Leute zu misshandeln, und ob er überhaupt selber einen Fahrschein besitze. Antworten kann der Kontrolleur nicht, weil in dem folgenden Tumult aus vielen Armen, Regenschirmen, Einkaufstaschen und Spazierstöcken sein Kopf irgendwie zwischen die zwei Stangen unter dem Entwerter hineingeraten ist und dunkelrot anläuft. Röchelnd und blind um sich schlagend, gelingt es ihm zwar, sich zu befreien, dabei haut er der alten Frau jedoch die Handtasche vom Schoß, die durch den Waggon segelt und einer anderen Dame das Kopftuch vom Kopf und den Dutt auseinander reißt, woraufhin die ganze Angelegenheit allgemein und hitzig wird.

Als die Trambahn samt dem tobenden Tohuwabohu am Elisabethplatz hält, flüchten der Kontrolleur und seine beiden Kollegen recht lädiert hinaus; ein Selleriekopf, eine leere Coladose und ein Spazierstock fliegen hinterher, und der kleine Kevin weiß danach nicht mehr recht, ob er aus Angst bis zur Pinakothek weitergefahren ist oder aus Schusseligkeit, weil er daran denken hat müssen, dass er früher davon geträumt hat, Trambahnfahrer zu werden.

Jedenfalls kommt er zu spät in die Schule, und als ihm der Hakan beichtet, dass er seinen Turnbeutel mit der Monatskarte daheim vergessen hat, sagt er, das sei egal, weil er die nächsten Tage sowieso lieber mit dem Radl in die Schule fahre.