herr tietz macht einen weiten einwurf
: Sport-Zensurerei mit Cooper-Test

FRITZ TIETZ über die Orientierung des modernen Schulsports an olympischen Leistungskriterien und die Versessenheit auf knallharte Bewertung

Fritz Tietz ist 45 Jahre alt, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport

In einem Fragebogen, den die Sportredaktion der Frankfurter Sonntagszeitung allwöchentlich von einer dieser unvermeidlichen Zelebritäten aus Showbiz, Tand und Politik ausfüllen lässt, werden die Delinquenten auch nach ihren Erinnerungen an den Turnunterricht befragt. „Schulsport war für Sie …?“, lautet da die Vorgabe, und die Befragten müssen den Halbsatz vollenden. Der Schauspieler Peter Lohmeyer etwa, der neulich dran war, schloss ihn so ab: „Viel zu wenig. Blödes Zirkeltraining – super Ballspiele – nackig duschen mit anderen.“

Was wird künftigen Prominenten später mal zu ihrem Sportunterricht einfallen? Meiner zwölfjährigen und derzeit ziemlich maulfaulen Tochter nicht mehr als ein genervtes „Doof“. Aber erstens wird sie (hoffentlich) keine dieser dubiosen Berühmtheiten, die Fragebögen ausfüllen. Und zweitens scheint sie ihren Sportunterricht so doof gar nicht zu finden. In weniger wortkargen Momenten lässt sie durchaus auch Wohlgefallen am schulischen Sportgeschehen erkennen, insbesondere wenn Völker- oder Brennball auf dem Stundenplan stehen. Weitwurf und Dauerlauf hingegen liegen ihr gar nicht. Bei den entsprechenden Leistungstests bekam sie denn auch bloß eine Drei, was mich unverbesserlichen Nach-68er und also strikten Zensurengegner veranlasste, beim Elternsprechtag um einen Termin bei ihrer Sportlehrerin zu bitten. Die wiederum bat, um nicht extra wegen mir in die Schule kommen zu müssen, das Gespräch telefonisch erledigen zu dürfen, was ich ihr gewährte.

Nach einem mächtig ranschleimenden Gesprächsauftakt meinerseits („… möchte vor allem meine Wertschätzung für das Fach Sport zum Ausdruck bringen …“ usw.) kam ich zur Sache. Eine nur „befriedigende“ Sportzensur sei doch wohl der reine Motivationskiller, nörgelte ich. Wie, bitte schön, könne ich mein Kind zur körperlichen Ertüchtigung animieren, wenn es von vornherein als Flasche stigmatisiert sei. Aber woher denn, fiel mir nun die Fachkraft ins empörte Wort. Eine Drei sei doch eine prima Zensur. Da war ich anderer Meinung. Mit einer Sport-Drei gehörte man zumindest zu meinen Schulzeiten schon zu den Nieten. Keineswegs, widersprach die Lehrerin. Mit einer Drei bewege sich meine Tochter im oberen Leistungsspektrum, und überhaupt mache sie ihr sportlich viel Freude, denn sie zeige genügend Ehrgeiz und habe sich bereits im Cooper-Test, einem zwölfminütigen Ausdauerlauf, erheblich gesteigert. Im Übrigen, so konterte sie meine Sportzensurenallergie, seien die Schüler heutzutage regelrecht versessen auf Noten und bestünden gerade im Sport auf einer knallharten Bewertung.

Da war ich aber platt und beendete das Gespräch, ohne die Frage an die Fachfrau gerichtet zu haben, wie denn die Leistungen meiner Tochter kurzfristig zu steigern seien. Ob da vielleicht ein bisschen Doping helfe und ob sie mir da was empfehlen könne. Denn das schien mir die logische Konsequenz der Sport-Zensurerei zu sein, die sich offensichtlich immer mehr an Kriterien olympiareifer Leistung ausrichtet und der folglich nur mit den heute im Spitzensport üblichen Methoden beizukommen ist. Ich werde wohl umdenken müssen.

Das legt auch die gerade vorgestellte Studie über den Sportunterricht in Deutschland nahe. Wenn er nicht ständig ausfällt, wird heutiger Sportunterricht zwar von überwiegend unterqualifiziertem Personal in oft nicht mal vorhandenen oder allenfalls maroden Sportstätten nach unzeitgemäßen Lehrinhalten erteilt. Andererseits ist er aber sehr beliebt, und die Schüler wollen nicht nur schwitzen, sondern auch Leistung. „Das wird einige schockieren“, kommentierte das Studienleiter Wolf-Dietrich Brettschneider und hat damit zweifellos auch mich gemeint. Immerhin: Das letzte Woche von meiner Tochter vorgetragene Ansinnen, sie wolle gern dem örtlichen Handballverein beitreten, konnte mich schon nicht mehr erstaunen.