Der 100-Tage-Kultursenator

Der vormalige Banker Gloystein ist bisher weder im Amt noch in der Szene angekommen

Die bisher in der Kulturszene hinterlassenen Eindrücke sind auffallend schlecht

Bremen taz ■ Eben so wie Elisabeth Motschmann als Kulturstaatsrätin war Gloystein eine autonome Neumann’sche Personalentscheidung. Damit verordnete der CDU-Landeschef der Spitze des Kulturressorts zwar eine gewisse Homogenität, aber auch erhebliche Starthemmungen. Denn: Ein von Null-auf-Hundert-Senator, dessen Kalender zudem mit Bürgermeister-Terminen vollgekleistert wird, braucht ein bisschen, ehe er der tatsächlichen Verfasstheit seines Drittressorts gewahr wird. Die Folge: Gloystein ist in Bremen noch gar nicht wirklich angekommen.

Geschweige denn, gut angekommen. Die bisher in der Kulturszene hinterlassenen Eindrücke sind auffallend schlecht, wobei das Grass’sche Stirnrunzeln angesichts der Gloystein’schen „Weltgeist“-Exegese anlässlich des Nobelpreisträgerbesuches nur die Spitze des Eisberges ist. Auch an manche demokratische Spielregel muss sich der vormalige Banken-Vorstand erst gewöhnen. Nicht nur die oppositionellen Kulturdeputatierten waren mehr als düpiert, als Gloystein die anstehende Debatte um den „Masterplan“ (MP) zur Kulturförderung mit der Bekanntgabe des der Presse mitzuteilenden Ergebnisses eröffnete.

Charakteristisch auch die Ankündigung, der Kulturrat werde an der Entwicklung des zweiten „Masterplans“ mitwirken: Die nämlich erfolgte, bevor der – dem MP I äußerst skeptisch gegenüberstehende – Kulturrat überhaupt gefragt worden war.

Gloystein sieht sich ganz offenkundig nicht als gremienorientierter Aparatschik, sondern als Macher – und als solcher ist er wohltuend pragmatisch. In Sachen Eingliederung der „Kultur Management Bremen GmbH“ (k.m.b.) ins Kulturressort hat Gloystein sehr schnell die SPD-Linie übernommen – trotz explizit anders lautender Erklärungen noch kurz zuvor. Spannend wird nun, ob er auch bei der Fortschreibung des Masterplans nachgibt. Eigentlich sollen die dort fest gelegten Prinzipien (Projektorientierung zu Ungunsten der institutionellen Zuwendungen) lediglich ausgearbeitet werden. Gloysteins SPD-Antipodin Carmen Emigholz versucht jedoch bereits offensiv, das Papier als Förderrichtlinie für weniger ausstrahlungskräftige Einrichtungen wie Biblitheken und VHS umzudefinieren.

Die einzige kulturpolitsche Entscheidung, auf die sich Gloystein bisher mit als hoch anzunehmender Halbswertszeit fest gelegt hat, lautet: Er stellt sich vor die Oper. Was allerdings ein leichtes ist. Denn kein Mitglied der tonangebenden Kaste dieser Stadt – nicht einmal CDU-Brahmane und Pierwoßgegner Jörg Kastendiek – möchte die Musiktheater-Sparte wirklich abschaffen, zumal sich damit auch die Bremer Philharmoniker auflösen müssten. Das Prinzip des Opernstreits ist simpel: Geschlagen wird der Sack, gemeint ist der Esel. Und dass Pierwoß mit letzterm immerhin die Sturheit teilt, wird zum baldigen Ende der Debatte beitragen.

Gloysteins künftige Probleme sind andere: Geld, Personal – und die Strukturen, in denen es arbeiten soll. Er muss eine Lösung für die Vakanzen und Wirren im Ressort finden, ebenso einen neuen Dirigenten für die Philharmoniker, er muss den Bremer Norden befrieden, ergo: Er muss Zeit für sein Amt finden. Schon Vorgänger Perschau hatte sich aus den diversen Stiftungs- und Aufsichtsgremien zu Gunsten der Staatsrätin zurück gezogen. Wer aber, wie jetzt Gloystein, „neue Begründungen für die Förderungswürdigkeit von Kultur“ anmahnt und andeutet, dass „Entscheidungen jenseits der Standards, die bisher als gesetzt galten“, anstünden, muss sich selbst der Diskussion stellen.

Sicher: Gloystein verströmt nicht gerade das diskursive Flair, das eine solche an die Substanz gehende Debatte in Fahrt bringen könnte. Andererseits führt seine dröge Art schnell zur Unterschätzung. Gerade Bremens linkem Bildungsbürgertum macht er es leicht, ihn als in der Kunst dilettierender Merkantilisten abzutun. Aber: Dieser Senator ist lernfähig genug, um das in der Stadt vorhandene kulturpolitische Know-How einzubeziehen. Er wird weder Trüpels noch Böses Ausstrahlung und Anerkennung gewinnen, aber im Gegensatz zu Schulte und Perschau – von Frau Kahrs schweigt die Geschichte ohnehin – Entscheidungen herbeiführen. Und die müssen nicht die schlechtesten sein. Henning Bleyl