Merkels Verbündete knicken ein

Das Konzept der CDU-Chefin über eine privilegierte Partnerschaft der EU mit der Türkei ist in der EVP nicht konsensfähig. Die Verhandlungen mit Ankara ergebnisoffen gestalten, heißt jetzt die Devise

AUS BRÜSSEL RUTH REICHSTEIN

Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel kam sichtlich zerknirscht von der Türkei-Debatte im Bundestag zum Kongress der Europäischen Volkspartei nach Meise bei Brüssel. Eigentlich wollte sie die konservativen Regierungschefs der Mitgliedsstaaten von der „privilegierten Partnerschaft“ mit der Türkei überzeugen und Stimmung machen gegen eine Vollmitgliedschaft des Landes. Aber schon bei ihrer Ankunft hatte sie diese Hoffnung begraben: „Es gibt sehr unterschiedliche Meinungen in der EVP. Daher werden wir uns nicht auf eine privilegierte Partnerschaft verständigen können.“ Sie wolle die Verhandlungen nur noch „ergebnisoffen“ gestalten.

Ein Verbündeter nach dem anderen war eingeknickt. Der österreichische Kanzler Wolfgang Schüssel, der bis zuletzt an der privilegierten Partnerschaft festgehalten hatte, sprach gestern nicht mehr davon. „Wir entscheiden hier über die Eröffnung der Verhandlungen und die wollen alle“, erklärte er lediglich.

Auch das EU-Parlament, immerhin mit einer konservativen Mehrheit ausgestattet, hatte sich am Dienstag für den Beginn der Gespräche mit der Türkei ausgesprochen – auch mit den Stimmen einiger EVP-Abgeordneter. Auch dort gäbe es Anhänger einer Vollmitgliedschaft, räumte der Vorsitzende Gerd Pöttering ein.

Dazu kommen die konservativen Staats- und Regierungschefs, die sich schon länger für Verhandlungen aussprechen wie etwa der niederländische Ministerpräsident und derzeitige EU-Ratsvorsitzende Jan Peter Balkenende. Auch Silvio Berlusconi zählt zu den Befürwortern, und Jacques Chirac liegt ganz auf der Linie seines Duz-Freunds Gerhard Schröder: Die Türkei soll in die EU. Der französische Präsident war dann auch gar nicht erst gekommen zum EVP-Treffen.

Sogar der CDU-Abgeordnete Elmar Brok, der sich immer wieder – wie Merkel – gegen eine Vollmitgliedschaft der Türkei ausgesprochen hatte, hörte sich gestern schon um einiges zahmer an. Im Bezug auf die Zypernfrage sagte er zwar, dass es auf Dauer nicht vorstellbar sei, mit einem Land zu verhandeln, das einen anderen Mitgliedsstaat nicht anerkenne. „Der Begriff der privilegierten Partnerschaft ist aber zweitrangig“, erklärte er. Wichtig sei lediglich, dass die Regierungschefs eine zweite Alternative zur vollen Mitgliedschaft in ihren Beschluss aufnehmen.

Das unterstrichen auch der EVP-Vorsitzende Gerd Pöttering und der Abgeordnete Ingo Friedrich. Falls die Verhandlungen mit der Türkei scheitern, müsse es einen „Plan B“ geben, um das Land dennoch enger an Europa zu binden, erklärte Friedrich. „Wir können nicht offenen Auges in ein Desaster rennen.“ Schließlich könnten auch die Verhandlungen erfolgreich sein, dann aber ein negatives Referendum in einem Mitgliedsstaat den Beitritt verhindern. In diesem Fall müsse sicher gestellt sein, dass die Türkei trotzdem mit Europa verbunden bleibt.

Der österreichische Kanzler Wolfgang Schüssel hatte einen entsprechenden Text mit nach Brüssel gebracht, der als Grundlage für den EVP-Kompromiss dienen sollte. „Dabei muss der Fortschritt bei den Reformen in der Türkei genauso beachtet werden wie der Zusammenhalt der Union.“ Wie dieser Vorschlag aussieht, den Schüssel den übrigen Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten gestern Abend beim EU-Gipfel vorlegen sollte, war bis zum späten Nachmittag noch unklar.