Der Beziehungsarbeiter

THOMAS SCHAAF Im finalen Nord-Derby dieser Saison am Sonntag sitzt Thomas Schaaf genau zehn Jahre als Cheftrainer auf der Werder-Bank. Geplant hat der 49-Jährige diese Karriere nicht, er war einfach immer im richtigen Moment da. Die taz gratuliert

■ Bei Werder: 7/1978–6/1995: 261 Bundesligaspiele 7/1995–5/1999: Trainer der 2. Mannschaft5/1999–? : Cheftrainer

■ Erfolge als Spieler: Europapokal der Pokalsieger 1992Deutscher Pokalsieger 1991, 1994Deutscher Meister 1988, 1993

■ Erfolge als Trainer: Deutscher Pokalsieger 1999, 2004Deutscher Meister 2004

■ Dialektik: „Mir ist auch klar, dass ich mit meinem Vertrag auch meine Kündigung unterschrieben habe.“

■ Kritik der Warenästhetik: „Ich eigne mich eigentlich als Werbepartner für nichts.“

■ Prognose: „Solange Thomas trainiert, wird Werder Erfolg haben.“ (Ailton) RLO

VON RALF LORENZEN

Auch nach zehn Jahren Dienst-Zeit als Werder-Trainer ist Thomas Schaaf noch für Überraschungen gut. Nicht bei Aufstellungen, die ändert er nur im Notfall. Aber im Auftreten. „Wenn ich verliere, bin ich ungenießbar“, hatte er vor ein paar Tagen zugegeben, das war nicht neu. Aber vorgestern in Hamburg war er auch nach einem Triumph missmutig. In der Pressekonferenz fragte man ihn nach Diegos Zukunft, statt nach der guten Arbeit seiner Mannschaft. Kopfschüttelnd verließ er den Raum.

Eine böse Überraschung erlebten auch einige Journalisten, die sich letzten Dienstag nach dem Training nichts ahnend um den Coach scharrten, der in den verfrüht publizierten Jubiläums-Gesängen vom Wochenende noch als cool, unaufgeregt und gelassen beschrieben worden war. Nun bürstete er die Anwesenden nach Strich und Faden zusammen, weil sie seiner Mannschaft eine laxe Arbeitseinstellung im Spiel gegen den 1. FC Köln vorgeworfen und die angeschlagenen Diego und Özil des Kickens im Park bezichtigt hatten.

Wer Thomas Schaaf eine vernünftige Frage stellt, kriegt eine vernünftige Antwort. Wer ihm eine unvernünftige Frage stellt, kriegt immerhin eine Antwort, aber wer seine Arbeitsmoral in Frage stellt, muss mit dem Bannstrahl rechnen. Die Grundwerte des gebürtigen Mannheimers passen auf ein Wahlplakat der SPD aus den 90er Jahren: „Arbeit, Arbeit, Arbeit.“

Pressekonferenzen nach Niederlagen von Werder Bremen laufen meistens so: „Herr Schaaf, wie wollen Sie aus der Krise kommen?“ Die Fragesteller hoffen dann auf Satzpartikel, wie sie in München oder Hamburg schon mal fallen: Schmusekurs beenden, neue Spieler holen. Vom 49-jährigen Thomas Schaaf hören sie nur: „In Ruhe weiterarbeiten.“ Und wer anschließend beim Training zuguckt, sieht tatsächlich keine Brandreden oder Teambildungsmaßnahmen, sondern: fünf gegen zwei, Schusstraining, Spielchen.

Als der Jubilar sich vor knapp 14 Tagen gegen seine Gewohnheit eine Stunde Zeit nahm, um seine Werder-Jahre Revue passieren zu lassen, war wenige Minuten vorher sein Gegenmodell gescheitert: Jürgen Klinsmann, der Bayern München mit hochspekulativen Konzept-Papieren in zehn Monaten heruntergewirtschaftet hat. Selbstverständlich hatte Schaaf freundliche Worte für den Kollegen, als er aber später betonte, ganz einfach ein Trainer zu sein, und nichts als ein Trainer, da schwang die Negation mit: eben kein Projektleiter, Teammanager oder Senior Consultant.

„Erfolg zu haben, ist eine Heidenarbeit. Manche glauben, wenn es gut läuft, liegen wir auf der Sonnenterasse und lassen uns bräunen.“ Es sind Sätze wie dieser, die jeden Ideologiekritiker zusammenzucken lassen. Thomas Schaafs Biografie ist der Beweis dafür, dass die Behauptung, man könne hierzulande mit ehrlicher Arbeit zum Erfolg kommen, in Ausnahmefällen doch stimmt. Seit er mit elf Jahren Werderaner wurde, hat er sich nie um einen Posten gedrängelt oder jemand anderen aus dem Weg geboxt. Er war in den entscheidenden Momenten einfach nur da. Und zwar gut vorbereitet.

So wie 1978, als er mit 17 Jahren als jüngster Debütant überhaupt ins kalte Bundesliga-Wasser geworfen wurde, oder ein paar Jahre später, als Werders Vize Fischer ihn bat, für eine kleine Gehaltserhöhung die Jugendtrainer zu unterstützen. „Ich hatte nie einen Karriereplan“, sagt Schaaf heute. Auch Ende der 90er Jahre nicht, als er nach dem Abgang von Otto Rehhagel mitansehen musste, wie sein Arbeitgeber ihm eine Fehlbesetzung nach der anderen als Cheftrainer vor die Nase setzte: de Mos, Dörner, Sidka. Erst als mit Felix Magath der Abstieg drohte, besann man sich des fleißigen, aber unauffälligen Amateurtrainers. In der Not ruft der Pfeffersack den Arbeiter.

„Wenn es die Situation nicht gegeben hätte, wäre ich nicht ans Ruder gekommen“, weiß Schaaf selbst. Es folgten das 1 : 0 im Schicksalsspiel gegen Schalke 04, der Klassenerhalt und der Pokalsieg gegen Bayern München. Trotz der Erfolge zierte sich das neu zusammengestellte Präsidium dann noch eine ganze Weile, ihn vom Interims- zum richtigen Trainer zu machen. Schaaf drängelte nicht.

Gedrängelt hat er sich auch fünf Jahre später nicht, nach dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft spektakulär auf dem Bremer Flughafen zu landen. „Jemand ist auf mich zugekommen und hat gefragt, ob ich oben aus dem Flugzeug rausgucken will. Dann wurde mir eine Fahne und eine Kamera in die Hand gedrückt“, erinnert er sich. Typischer als dieser Triumphflug ist für Schaaf das, was er am nächsten Morgen machte: Er ging trotz zahlreicher Interviewanfragen wie versprochen zum Korbballturnier seiner Tochter.

Schaafs Familiensinn endet nicht an der Ausfahrt seines Mehrgenerationen-Hauses. Er engagiert sich im „Zentrum für trauernde Kinder“, und wenn er vom sensiblen, sozialen Gebilde einer Fußballmannschaft spricht, das man hegen und pflegen müsse, schimmert ein Arbeitsbegriff durch, der die Beziehungsarbeit als lebenswichtige Komponente einschließt. „Es hat noch keiner Papa zu mir gesagt“, sagt er. „Aber der eine oder andere hat schon bei mir in der Kabine gesessen und geheult.“

Die letzte Werder-Krise hat auch bei ihm Spuren hinterlassen. Die kommen vermutlich weniger von der Sorge um den eigenen Job, sondern vom Zweifel, ob sich mit dem aktuellen Kader noch einmal dieses Werder-Kollektiv formen lässt, dass jahrelang die wichtigste Produktivkraft des Vereins war. Die Brüche waren in dieser Saison unübersehbar. Die Pokalerfolge überdecken sie im Moment, wie Schaafs Bart seine Sorgenfalten. Er wird in Ruhe weiterarbeiten – am Spiel und den Beziehungen.