Regierung begräbt EU-Referendum

Europapolitiker in der SPD-Fraktion sind sauer über Münteferings mangelndes Demokratiebewusstsein

BERLIN taz ■ Wenige Minuten bevor die SPD-Fraktion gestern früh um neun fix zur Türkei-Debatte in den Bundestag musste, durfte noch einer der Abgeordneten das Wort zum Thema EU-Referendum ergreifen. Referendum, was war das noch? Eine Diskussion, eine Abstimmung gar fand nicht mehr statt.

Dabei hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) selbst Ende August überraschend erklärt, man könne die Möglichkeit, die Bevölkerung über die EU-Verfassung abstimmen zu lassen, doch in den geplanten Gesetzentwurf über Volksentscheide integrieren. Mit einem bisschen guten Willen hätte dann die ganze Bevölkerung statt bloß der Bundestag der EU-Verfassung zustimmen können – wie dies etwa im Februar 2005 auch die Spanier und dann noch zehn oder elf weitere EU-Völker tun werden.

Doch am Dienstag haben die rot-grünen Spitzen vereinbart, dass es keinen Gesetzentwurf inklusive EU-Referendum geben wird, und seither fand sich Fraktionschef Franz Müntefering nicht bereit, seiner Fraktion zu dieser Entscheidung Rede und Antwort zu stehen. Immerhin haben zum Beispiel 55 SPD-Abgeordnete einen Brief der Europapolitiker Axel Schäfer und Michael Roth unterstützt, die ein EU-Referendum verlangen.

Münteferings Weigerung, dem Thema einen ordentlichen Platz auf der Tagesordnung einzuräumen, nennt Roth nun „ein Begräbnis dritter Klasse“. Er ist wütend, dass um das EU-Referendum „monatelang Pirouetten“ gedreht wurden – und Müntefering nun noch nicht einmal einen sauberen Abschluss der Debatte zulässt.

Diesen hätte es ohnehin gegeben: Die für eine Verfassungsänderung notwendige Zweidrittelmehrheit wäre für Volksentscheide plus EU-Referendum niemals zusammengekommen. Die CDU ist sowieso dagegen. Abweichende Meinungen in der Union kommen lediglich von Landespolitikern, die damit zu Hause Zustimmung sammeln wollen. Der Vorstoß der SPD-Spitze im Spätsommer sollte diese Spaltung des Unionslagers vertiefen, hat sich seither jedoch als erfolglos erwiesen. Daher haben auch die Grünen nun recht leichtherzig vom Referendum Abschied genommen.

Von solchem rein strategischen Kalkül gerade seitens der Grünen ist Roth „enttäuscht“. Er meint, die Regierungsparteien sollten für ihre Position zumindest kämpfen. UWI