Kampf um Yukos-Öl

Mit der Zerschlagung des Ölkonzerns schlägt Präsident Putin den Weg zur kapitalistischen Kommandowirtschaft ein

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

Moskau bereitet sich auf ein großes Schlachtfest vor. Nach siebzehn Monaten Treibjagd wird Russlands größter Ölkonzern Yukos am 19. Dezember endgültig in seine Bestandteile zerlegt. Mit der Zwangsversteigerung der Ölfirma Juganskneftegas verliert der Konzern nicht nur die wichtigste Fördertochter, sondern auch seine Lebensfähigkeit.

Angefangen hat alles im Sommer 2003. Damals zerrte der Kreml den vorbildlich geführten Konzern wegen massiver Steuerhinterziehungen vor Gericht. Das war die offizielle Version. Hinter der Attacke steckte indes auch damals schon mehr. Michail Chodorkowski, Gründer und Mehrheitsaktionär von Yukos, hatte es gewagt, eigene politische Ambitionen anzumelden und gesellschaftliche Kräfte zu fördern, die den autoritären Führungsanspruch des Kreml nicht widerspruchslos hinnehmen wollten.

Nachdem der Gegner erfolgreich ausgeschaltet worden ist, hat sich der Kreml ein neues Ziel gesteckt: Das russische Machtzentrum will in absehbarer Zeit über strategische Ressourcen im Energiesektor und in „Schlüsselindustrien von nationalem Interesse“ wieder allein verfügen. Nach sozialistischer Planwirtschaft und halbherziger Marktwirtschaft schlägt der Kreml nun einen dritten Weg in Richtung kapitalistische Kommandowirtschaft ein. Daher gilt es bereits als ausgemacht, dass Gasmonopolist Gazprom auch den Zuschlag für Juganskneftegas auf der Auktion erhalten wird.

Dies wird erst der Anfang sein: Durch Übernahme und Zukäufe der Firmen Sibneft, Surneftegas und Sarubeschneft soll am Ende ein staatlicher Öl- und Gasmonopolist entstehen. Die Blaupausen dieses gigantischen Konzentrationsprozesses stammen ausgerechnet aus den Schubladen der Deutschen Bank, berichtete die Wirtschaftszeitung Wedemosti unter Berufung auf einen Gazprom-Vertreter. Demnach hat sich das Frankfurter Bankinstitut auch bereit erklärt, die Finanzierung des Vorhabens zu übernehmen.

In der russischen Regierung ist der Kurs nicht unumstritten. Wirtschaftsminister und Gazprom-Aufsichtsratsmitglied German Gref warnte bereits vor einem volkswirtschaftlichen Flurschaden, wenn der Staat zu einer Rollback-Politik überginge. Doch Grefs Einwand stieß nicht auf Gehör. Zweifelsohne will Präsident Putin das rückständige Riesenreich modernisieren und in die Weltwirtschaft integrieren. Sollte dadurch der Lebensstandard der Bevölkerung steigen, so wäre dies ein erfreulicher Nebeneffekt. Das wahre Motiv ist ein anderes: der Traum von einem wiedererstarkten Russland, das der ehemalige Geheimdienstchef mit Trommelgetöse zurück auf die Weltbühne führt, um den USA Paroli zu bieten. Dafür müssen die Finanzströme des neuen Energiegiganten in den Kreml fließen.

Bislang ist es Gazprom nicht einmal im Gas-Kerngeschäft gelungen, effektiv zu wirtschaften. Jahr für Jahr versickern Milliardenbeträge in den Verästelungen des Konzerns, weil sich hoch dotierte Staatsbedienstete gegen ein funktionsfähiges Kontrollsystem wehren.

Russlands private Energieunternehmen wirtschaften wesentlich profitabler. Das geht auch aus dem jüngsten Russlandbericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) hervor. Bei Output und Produktivität schlagen sie staatliche Konzerne um Längen. Die OECD warnt daher, den wichtigsten Motor des Wachstums nicht abzuwürgen. Die Vision des Präsidenten, binnen fünf Jahren das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu verdoppeln, ließe sich dann nicht mehr umsetzen. Schon jetzt verlangsamt sich die Dynamik: Seit der Staatsaffäre um Yukos drehen russische Unternehmen jeden Rubel dreimal um, bevor sie investieren. Doch einen Zusammenhang, so der Kreml, ließe sich nicht erkennen.

Putins Kampfauftrag zur Verdoppelung des BIP deuten unterdessen Fachleute als Reaktion auf die gesunkene Investitionsbereitschaft der heimischen Geschäftswelt. Der ehemalige Wirtschaftsminister Jewgeni Jassin wertet die hohen Währungsreserven und den Geldüberhang auf dem Finanzmarkt auch als ein Indiz für die geringe Nachfrage nach Kapital. Große Unternehmen sitzen auf ihren Gewinnen. Premierminister Michail Fradkow, ein Technokrat, wie er im Buche steht, warf den Mitgliedern des russischen Industriellenverbandes (UIU) auf deren Jahreskongress im November denn auch vor, „ihnen mangele es an Enthusiasmus“. Eine Mahnung, die aber ohne jede Wirkung verpuffte. Wenn etwas in diesen Kreisen für Aufregung sorgt, dann sind es Gerüchte. Nach dem Casus Yukos könnten sich die Steuerbehörden anderen Wirtschaftsmagnaten zuwenden – Gerüchte, die die Kremlköche gezielt unters Volk bringen. Zwar hatte Putin dies vor Jahresfrist noch ausgeschlossen. Aber was hat der Präsident nicht alles schon versprochen?

Vor allem Projekte, die einen langen Zeithorizont erfordern, packen russische Geschäftsleute nicht mehr an. Dies gilt nicht nur für die Energiebranche, die das Machtzentrum besonders im Visier hat. Selbst die lukrative Branche der Bierbrauer wartet ab.

Stattdessen sind die Auslandsinvestitionen des russischen Kapitals in den ersten neun Monaten 2004 um 55 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Das Moskauer Institut für Entwicklungsstudien schätzt überdies die Kapitalflucht in diesem Jahr auf 17 bis 20 Milliarden Dollar. Damit wäre Russland auf den Stand vor vier Jahren zurückgefallen. Dem stehen nach Berechnungen der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung 8 Milliarden Dollar an ausländischen Investitionen bis September gegenüber – rund 6,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das ist wiederum nur ein Fünftel dessen, was ausländische Investoren in den anderen europäischen Transformationsstaaten anlegen. Selbst das zentralasiatische Kasachstan zieht mehr Investitionen an. Bis 2007 will Russland dennoch 12 Milliarden Euro Direktinvestitionen pro Jahr ins Land holen.

Noch stürmt ausländisches Kapital nicht auf den gewaltigen russischen Markt, dessen 143 Millionen Menschen mit großem Nachholbedarf für jedes Unternehmen eigentlich eine riesige Verlockung darstellen sollten. Der Chefökonom der Investment Bank Troika, Jewgeni Gawrilenko, führt die zögerliche Haltung ausländischer wie heimischer Unternehmer auf das Fehlen einer klaren wirtschaftspolitischen Zielvorgabe zurück. Niemand wisse, was die Regierung wirklich im Schilde führe: „Es sieht aus, als gäbe es überhaupt keine Linie.“