Meilenweit daneben bei voller Präsenz

Die Nordclubs VfL Wolfburg und Hannover 96 lassen trotz Bundesliga-Winterpause von sich hören: Beide Teams haben Weihnachtslieder auf CD eingespielt. Klingende Zeugnisse von der Anarchie des Fußballers nach dem Elfmeter

Wenn bei Asterix der Barde Troubadix zur Harfe greift und singt, weinen die Götter und schicken ihre Tränen als Dauerregen auf die Erde. Man könnte nun sagen, die norddeutschen Niederschlagsmengen haben etwas zu tun mit einer Benefiz-CD, die seit Anfang Dezember in Wolfsburg kursiert. Aber das wäre falsch. Denn diese CD mit ihren 16 Weihnachtshits und dem Namen „Wolfsburger singen für Wolfsburg“ ist erstens nicht durchweg Troubadix-Liga – auf ihr sind durchaus sangesbegabte Leute wie der Bürgermeister Rolf Schnellecke mit Stücken wie „Oh Tannenbaum“ zu hören. Und zweitens haben die Beiträge, bei denen die Gehörgänge des Hörers unmittelbar kollabieren, eine sehr eigene, unmittelbar faszinierende Schönheit.

Die Rede ist von den beiden Evergreens „Kling Glöckchen“ und „Fröh-hö-liche Weihnacht“. Dargeboten werden sie von den VfL-Profis Thomas Brdaric, Maik Franz, Hans Sarpei, André Lenz und Roy Präger. Ferner mit am Mikro: Co-Trainer Reinhard Stumpf sowie die Betreuer Heinz Mies und Heribert Rüttger. Ein Männerchor, filigran begleitet von einer mit Finger-picking gespielten Akustik-Gitarre. Und so viel Anarchie bei „Kling Glöckchen“ war selten. Der Einsatz zu spät, das „Klingelingeling“ danach dauerhaft zu langsam, die Töne mehrstimmig daneben und die Vokalbildung hinten über: Aus „Glöckchen“ wird „Glöckschn“ im Zuge des hohen Schwaben-Anteils im Team.

Zauberhaft daran: Diese Musik ist keine Persiflage, enthält keine Ironie und ist auch nicht studiotechnisch aufgemotzt, so dass am Schluss mehr aus den Boxen dränge, als eingesungen wurde. Die Lieder sind echt, ehrlich und spontan. Stars, die seit Jahren Teil des Medienbetriebs sind, brechen aus der Dauer-Inszenierung aus und machen etwas, das sie nicht können, ohne mit dem Nicht-Können hausieren zu gehen. Das ist groß. Und sehr, sehr lustig. Wobei man zwar über die VfL-er lacht, sie nachher aber umso liebenswerter findet. Das ist die höhere Kunst des Marketings, etwas, das keine PR-Agentur mit klugem Kalkül hinkriegen könnte. Der Erlös der CD geht an den Hospizverein und die Wolfsburger Familienbildungsstätte.

Ganz anders dagegen der musikalische Beitrag der Fußballer von Hannover 96 zum Weihnachtsgeschäft: „Merry Christmas 96“ heißt der eigens komponierte Song aus der Sparte Schunkel-Pop-Rock. Die Profis gestalten den Refrain im Chor, alles ganz glatt, die Strophe singt auch ein Profi, allerdings einer aus dem Musikgeschäft. „Die Kerzen leuchten heute nur in rot / jetzt sind wir zu Haus’ / der Weihnachtsmann trägt heute mein Trikot“ – so weihnachtet es in Hannover. Routiniert und berechenbar.

Ein Song mit solider Strategie. Während die Wolfsburger ohne doppelten Boden auf Risiko gehen – ein Schnellschuss, rau, beherzt, einsatzfreudig. Meilenweit daneben bei voller Präsenz: Von den 2.000 Stück der Erstauflage ist bereits gut die Hälfte vergriffen. Klaus Irler

Die CD „Wolfsburger singen für Wolfsburg“ gibt es in der Geschäftsstelle der Wolfsburger Nachrichten; „Merry Christmas 96“ vertreibt der Fan-Shop von Hannover 96