Die Suche nach dem Urzustand

Die Computerkunst ist reif für‘s Museum, findet die Bremer Kunsthalle und möchte sich bundesweit profilieren durch das Erforschen und Ausstellen der jungen Kunstform. Ein Joker dabei: Frieder Nake, einer der Pioniere der Computerkunst in den 1960er Jahren, arbeitet heute an der Bremer Universität

aus Bremen Klaus Irler

Es war ein Gefühl der Unverwundbarkeit, das sich am Abend des 22. Februar 1967 bei den Pionieren der Computerkunst einstellte. In einer Stuttgarter Galerie hatten sie etliche programmierte Grafiken an die Wände gehängt, berauscht vom Gefühl des Neuen und Unerhörten, formulierten sie doch durch das Ausstellen der Ausdrucke einen Anspruch auf Kunstgültigkeit. „Die Schau umfasste wohl 50 Werke, damals eine beachtliche Zahl“, erinnert sich der Computerkünstler und Informatiker Frieder Nake. Ihm ist der Abend noch sehr präsent aufgrund eines Feuers, das in der Etage über der Galerie ausbrach. „Wir saßen in der Galerie und wunderten uns über die vielen Feuerwehrautos auf der Straße.“ Für die Künstler verlief das Feuer glimpflich. Mehr noch: „Heiterkeit kam auf, als die gesamte Ausstellung noch am Abend nach der Vernissage abbrannte.“

Heiterkeit? Wohl deswegen, weil den Computerkünstlern an diesem Abend klar wurde, dass sie soeben lediglich die Materialkosten in Flammen aufgehen sahen. Ihr Werk aber war unversehrt, denn ihr Werk war schließlich nicht das Papier an der Wand, sondern die Lochstreifen, mit der sie die Maschine programmiert hatten, die das Papier bedruckt hatte. Die Maschine mit ihren Lochstreifen aber stand unbeschädigt in der Technischen Hochschule: Wahre Computer-Kunst ist nicht der Ausdruck, sondern das Programm – so die Erkenntnis des Abends. Die Grafik-Blätter an den Galeriewänden waren lediglich eine Art „Zugeständnis an den Wahrnehmungs-Konservatismus“, so Nake.

Der Direktor der Bremer Kunsthalle, Wulf Herzogenrath, sieht das heute anders. Er möchte sein Museum profilieren als bundesdeutsche Vorreiterin in den Bereichen Computer- und Videokunst, möchte die Sammlung entsprechend ausbauen, plant einen Computerkunst-Schwerpunkt für die kommenden Jahre und sagt: „Wir brauchen das visuelle Ereignis. Das ist unser Gebiet.“ Was er bewahren, erforschen und zeigen möchte, das sind die Bilder und nicht die Programme oder Rechner.

Dementsprechend zeigt die Kunsthalle in der aktuellen Ausstellung „Die präzisen Vergnügen“ die algorithmisch erstellten Grafiken von Frieder Nake aus der ersten Computerkunst-Phase ab Mitte der 1960er Jahre – Bilder mit Titeln wie „Rechteckschraffuren in Feldern“, „Walk-Through-Raster Serie 7.1-3“ oder „Matrizenmultiplikation“.

Zu verstehen ist die Ausstellung als Auftakt einer „Archäologie der digitalen Bildverarbeitung“: Man zeige den „Urzustand digitaler Bilder“, so Kustos Andreas Kreul, auch um damit aufzuhellen, „was heute möglich ist.“ Im April 2005 folgt auf die „präzisen Vergnügen“ ein Symposion über die Anfänge der Computerkunst und im Herbst gibt es eine Ausstellung von Werken eines weiteren Pioniers der Computerkunst, dem mittlerweile 78-jährigen Georg Nees.

Barbara Nierhoff, die die Computergrafik-Veranstaltungen in der Kunsthalle wissenschaftlich betreut, möchte mit ihrer Arbeit die Anfangsphase der Computerkunst „möglichst lückenlos dokumentieren.“ Sie wird sich auf die Suche nach den noch existierenden Arbeiten machen und diese mit kunsthistorischer Systematik inventarisieren. Ein vergleichbares Vorhaben gibt es derzeit in London, wobei beim Londoner Projekt „Cache“ an der School of History of Art, Film and Visual Media ein satter Etat von 700.000 Dollar zur Verfügung steht.

So opulent ist man in Bremen bei weitem nicht ausgestattet, hat aber dafür einen ganz anderen Vorteil, und der heißt Frieder Nake. Der 66-Jährige ist Informatik-Prof an der Bremer Uni, promovierte über Wahrscheinlichkeitstheorie und war neben Georg Nees und A. Michael Noll einer der drei Pioniere der Computerkunst. Interessant zu wissen: Nake versteht sich selbst nicht so eindeutig als Künstler und sagt lieber: „Ich hatte zu jener Zeit einen ständigen Umgang mit Künstlern, hatte aber auch jeden Tag Umgang mit Mathematikern.“

Direktor Herzogenrath sieht gerade darin einen Reiz. „Das ist die alte Irritation, ob es sich bei den Bildern um Wissenschaft oder um Kunst handelt. Es gibt eben zwei verschieden Sichtweisen auf die Arbeiten, die zu zwei verschiedenen Ergebnissen kommen. Unsere Aufgabe ist es, aus unserer Sicht unsere Interpretation einzubringen.“

Was für die Frühphase dieser Kunstform schon mal gut machbar ist: Die Computerkunst passt in den 1960er Jahren zu den fließenden Übergängen des Fluxus, den anti-musealen Reflexen der Performances und Happenings, den Gedankenspielen der Konstruktivisten und dem Gestaltungsprinzip „Zufall“ in der Kunst. Was von der Computerkunst allerdings in der Zukunft übrig bleibt, „wird die Zeit zeigen“, sagt Nierhoff. „Wir müssen heute nicht schlussendlich klären, ob die einzelnen Arbeiten Kunst sind oder nicht.“

Eine museale Aura aber umweht Nakes frühe Grafiken durchaus, zumal in der Konfrontation mit dem, wie seine Bildideen heute aussehen würden: In der Kunsthalle stehen in einem gesonderten Raum interaktive Installationen, gebaut von Uni-MitarbeiterInnen Nakes, die zusammen die Gruppe compArt bilden. Diese Installationen greifen Eigenschaften von Nakes frühen Grafiken auf und übersetzen sie in dynamische Bilder: Der Besucher verändert das Bild, beispielsweise durch seine Bewegung im Raum, die durch Kameras aufgenommen und zeitgleich in Bilder übersetzt werden.

„Das statische, fertige Bild auf Papier an der Wand wird in der Installation zum dynamischen, unfertigen Bild auf dem Monitor“, schreibt Nake. „Der Computer hält es in flüchtigem Zustand, auf den interaktiv gegebene Signale einwirken.“ Vom Wandbild zum interaktiven Bild, eine Evolution sowohl der Technik als auch der künstlerischen Strategie. „Das Wandbild“, so Nake, „erkennen wir nur abstrakt als Mitglied einer Klasse von Bildern. Das interaktive Bild dagegen huscht ständig konkret durch seine Klasse, ohne sich fangen zu lassen.“

Dabei gelte für beide Varianten: „Digitale Kunst ist gekennzeichnet durch eine Ästhetik des Unfertig-Seins.“ Also auch heutzutage: Alles im Fluss. Gut möglich, dass die interaktiven Installationen später in den Büchern gehandelt werden als die Computerkunst-Phase ist, in der die Bilder laufen lernten. Und in einer Vitrine des Museums steht dann doch: eine Maus. Mit Kabel.

„Frieder Nake – Die präzisen Vergnügen“; bis 16.1.2005 in der Bremer Kunsthalle