„Ohne Herzblut“

Eine ehemalige Synagoge muss einem Geschäftshaus weichen – die jüdische Gemeinde ist damit einverstanden

Osterholz-Scharmbeck taz ■ Das erste Hinsehen lässt einen handfesten Streit erwarten: Da wird eine ehemalige Synagoge abgerissen, weil ein neues Geschäftshaus entstehen soll. Doch die jüdische Gemeinde hat ihren ausdrücklichen Segen erteilt. Der Bau an der Bahnhofsstraße in Osterholz-Scharmbeck sei „hässlich“, findet der Landesvorsitzende der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen, Michael Fürst. „Da hängt kein Herzblut dran.“

Katrin Keßler und Ulrich Knufinke sehen das ganz anders: Der Abriss des ehemaligen Gotteshauses sei ein „Skandal“, protestieren die beiden Baugeschichtler von der Technischen Universität Braunschweig. Das Schicksal der Synagoge sei „symptomatisch“ für den Umgang mit jüdischer Kultur in Deutschland. Es bleibe „unverständlich“, wieso sich die Denkmalpflege dem nicht widersetzt habe.

Aus deren Sicht sieht die Sache ganz anders aus: Falk-Reimar Sänger, Landeskurator für Denkmalpflege in Niedersachsen, hat das Gebäude nach einer Begehung für „nicht denkmalwert“ befunden. „Ich habe absolut nichts mehr gefunden, was an eine Synagoge erinnert“, so Sänger, von einem neugotischen Spitzbogen im Ostgibel einmal abgesehen. Dem Vorwurf der beiden Bauhistoriker, er habe auf eine eingehende Dokumentation der Baugeschichte verzichtet und die Reste der ursprünglichen Ausmalung nicht „systematisch erfasst“, widerspricht Sänger. Es sei alles ausreichend festgehalten.

Errichtet wurde das Gebäude 1865 von der damaligen jüdischen Gemeinde. Bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts wurde es als Synagoge und Religionsschule genutzt, ein rituelles Bad gehörten ebenfalls dazu. Doch schon 1924 musste der Religionsunterricht mangels Beteiligung eingestellt werden, die Thorarollen wurden noch vor 1938 nach Hannover geschafft. „Nach dem jüdischen Religionsgesetz gilt das Haus damit nicht mehr als Synagoge“, so Fürst.

In der Reichspogromnacht wurde das Gebäude in Brand gesteckt, berichtet Sänger, konnte jedoch von einem Feuerwehrmann „weitgehend gerettet“ werden. Für „immerhin“ 6.500 Reichsmark an die NS-Stadtverwaltung verkauft, diente es fortan als Luftschutzschule. Spätestens seit 1968 ist die ehemalige Synagoge von außen nicht mehr als solche zu erkennen. Ein einheitlicher Verputz machte den Bau zur unscheinbaren Durchschnittsarchitektur. Wohnräume und Büros entstanden, zuletzt dienten sie der SPD.

Nun soll an dieser Stelle ein Mahnmal mit 22 Säulen errichtet werden. „Damit macht man es sich zu einfach“ kritisieren die Wissenschaftler. Mit dem Bauwerk hätte man auch seinen „mahnenden Charakter“ erhalten, die Auseinandersetzung mit der Geschichte befördern können. Michael Fürst steht dem Projekt indes positiv gegenüber. „Eine ehemalige Synagoge ist nicht heilig.“ Und mit einem Mahnmal sei der Erinnerung allemal mehr gedient. Jan Zier