Genau so!

Bochumer Weihnacht

Weihnachten muss matschig sein und die Stadt fast dieselbe, nur mit ein wenig Zuckerguss

VON ANDREAS WINKLER

Bochum, Winter, und es liegt Schnee. Grauer könnte er nicht sein.

Wunderbar.

Ich stapfe durch matschige Straßen und lobe mich selbst. Zwei Paar Socken und die festesten, hässlichsten Schuhe, die ich aus meinem Schrank kramen konnte.

Kalter Wind pfeift um meine Nase (läuft), feuchter Schnee landet in meinem Haar, Pärchen hasten vorbei, gelbes, warmes Licht dringt aus den Fenstern der Studentenwohnheime. Auf einer Rasenfläche haben sie mit dem Mut der Verzweiflung einen Schneemann gebaut. Das Schild um seinen Hals: „Bödi küsst Pike“. Ich frage mich, wo eigentlich klassisches Weihnachten gefeiert wird. In Australien, Texas, Italien, Neuguinea und Bochum sieht es jedenfalls nicht so aus wie in einem kitschigen Film. Freut mich. Wir passen uns nicht an, wir sind schmuddelig. Individualisten.

Klingeln in der Hose, eine neue Nachricht. Natürlich, alle kommen zu spät. Während ich ein Fenster passiere, hinter dem die IG Metall Weihnachtslieder singt, lächle ich in mich hinein. Man kennt seine Pappenheimer – ich bin selbst extra langsam gegangen. Besser als alleine herumzusitzen.

In der U-Bahn: feuchte Luft, angestrengt brummende Heizungen und das Weihnachtspanoptikum. Ein Mann erklärt seiner Tochter, dass der Weihnachtsmann eine Menge Gehilfen hat, um alle beliefern zu können (Kinder sind so clever heutzutage, da muss man die Lügen aufpolieren und unterfüttern). Zwei Teenager fragen sich, ob eine Flasche Rum ausreicht, um auf die Weihnachtsparty zu kommen.

Der ältere Mann mit der tropfenden Nase verströmt Depression und klammert sich an zwei riesigen Tüten voller Pfandflaschen fest. Die zwei abgerissensten Typen im Wagon stellen sich als Kontrolleure heraus. Für die Teenies mit dem Rum gibt’s keine schöne Bescherung.

In der Innenstadt: hell erleuchtete Schaufenster, dick eingemummte Einkäufer, lachende Pärchen, drei musizierende Peruaner, die ich allzu gerne mal fragen würde, wie man bei ihnen daheim feiert.

Es hat aufgehört zu schneien, und unter dem Matsch glänzt fett das Kopfsteinpflaster. Drei junge Türken versuchen im Vorübergehen cool auszusehen – scheitern an ihren Zipfelmützen.

Und das ist Weihnachten. Als ich mich der Kneipe nähere, wird es mir klar, als ich durch die Tür gehe und mir die Wärme entgegenschlägt und ich die Girlanden sehe, die die mexikanische Ganzjahresdekoration mangelhaft überdecken, wird es noch viel klarer.

Weihnachten muss matschig sein und die Stadt fast dieselbe, nur mit ein wenig Zuckerguss, und meine Freunde müssen dieselben sein wie das ganze Jahr über, und nach jedem Weihnachtslied muss ein blöder Song kommen, den man das ganze Jahr über auch gehört hat und der nicht zur Jahreszeit passt.

Jetzt feiert ein Dutzend Leute, die es nicht bis zu ihrer Familie werweißwo geschafft haben, dass sie in dieser schrägen Stadt mit ihrem grauen Schnee und den dünnen Popsongs übrig geblieben sind. Und ich sage allerseits Hallo, stelle mein Wichtelgeschenk auf den Tisch und bestelle einen Cocktail.

Als ich mir die erste Kippe anstecke, bin ich schon zu Hause und bedaure jedes arme Schwein, das versucht, sich die Coca-Cola-Stimmung ins Wohnzimmer zu zaubern.

„Ey, was trinkt ihr denn da? Ist das nicht die falsche Jahreszeit?“ Ich sehe mich um. Zwei Planters Punch, ein Magharita, ein Kamikaze, ein Touchdown, drei Pils.

Muss grinsen, breit und fett, wie der Weihnachtsmann nach getaner Arbeit, wenn er auf dem Weg nach Hause ist und sich high und müde und verdammt zufrieden fühlt. Und schüttle den Kopf. „Ne, wieso? Ist doch Heiligabend, oder?“

Das Gefühl ist irgendwo da drinnen. Scheiß auf die weiße Weihnacht.