Hassen heute

Die allgemeine Reise-Verachtung. Ein Bericht von der Urlaubs- und Ferienfront

Nie sieht man Augen so hasserfüllt leuchten wie unterwegs

Warum reisen wir? Manche meinen, der Erholung oder der Bildung wegen. Ich aber sage: Wir reisen, um zu verachten. Der Pauschaltourist verachtet den Backpacker, der Backpacker den Pauschaltouristen, der Bildungsreisende kann den Sextouristen nicht leiden, der Sextourist hasst den Tempelbesichtiger ohne Eier.

Es verachtet auch der Einheimische den Touristen, der Tourist findet die Einheimischen zum Kotzen, die alten Reisenden spucken auf die Jüngeren beziehungsweise vice versa. Den Dünnen kommt das Essen hoch, wenn sie die Fetten im Beachrestaurant nur sehen („Schau dir das Tier an, was es frisst“), die Fetten würden die Dünnen von der Bildfläche putzen, wenn sie könnten. Eine einzige große Hasskolonne zieht um die Welt, strömt aus den Städten an die Strände, aus den Dörfern in die Metropolen, vom Kalten ins Heiße und vom Warmen in den Frost. Und mir geht gerade Britta gewaltig auf den Keks.

Aber das macht ja nichts, ich bin ja nicht allein. Speziell verachtet auch der Ossi den Wessi. Wir ernten vorwurfsvolle Blicke, als wir bei Gewitteranbruch nicht sofort die Stühle unters Vordach räumen. Das nehmen jetzt die Ossis selber in die Hand. Eine Ostfrau rammt uns dabei vorsätzlich die Stuhlbeine in die Bäuche. „Scheiß Wessis“, soll das heißen. „Ihr kümmert euch nur um euch selbst, nicht ums Kollektiv.“

Der Schwabe am Busbahnhof kann den Berliner nicht ausstehen, am Strand der Franzose nicht den Australier, vor Wut heulen könnte die Geliebte, sieht sie das einfältige Lächeln des Freunds (Frankfurt-Bornheim). Der Ehemann aber träumt davon, seiner Frau ins Gesicht zu rotzen, einfach so, mitten im Satz, wenn sie gerade wieder sagt, irgendwas sei „voll geil“. Das alles passiert bei der größten Hassparade dieses Planeten. Im Senegal, in Norwegen, Manila, Quito, Toronto, Feuerland und am Strand von Ko Mook, Thailand.

Könnte man hören, was die Reisenden denken, dann schrie alles Durcheinander. „Wie fertig ist das denn?“, „Halt doch mal die Klappe“, „Lieber Gott, mach die da sofort kaputt“, „Der bekommt sicher keinen mehr hoch“, „Der ist bestimmt Lehrer“, „Der hat hundertpro noch nie einen hochbekommen“, „Garantiert ist der …“, „Ich wette, die ist …“, „du Nervenkranker“, „Vegetarier“, „Eimer“, „Pädophiler“, „Joschka Fischer“, „Fotze“, „Sting!“. Auf Reisen hassen die Eltern mit Kindern die Kinderlosen, die Kinderlosen können die Familien nicht ausstehen, die allein erziehenden Surfer schauen auf die polygamen Taucher herab, die Taucher verlachen nicht nur die Surfer („Schwule“), sondern auch die Schnorchler („Zoophile“), die Schnorchler jedoch hassen eher diffus. Eigentlich hängen ihnen ja die kleinen, bunten Korallenfische längst zum Hals heraus, aber das können sie keinem erzählen. Gitarrenspieler verachten Bassisten (die leider zu Hause blieben), die Schweiger könnten den Schwätzern auf der Stelle die dummen, dummen Fressen marmorieren, den Schwätzern aber tun die Schweiger Leid. Und alle tauschen sie Blicke aus, Blicke von oben herab, funkelnde Blicke, nie sieht man Augen so hasserfüllt leuchten wie unterwegs.

Dazu kommt der Ekel. Mick ekelt sich vor den Leuten, die am Lagerfeuer sitzen, auf dem Markt verabscheut Hashim blonde Damen mit unbedeckten Haaren, und ich schüttele mich bei Brittas neuesten Stuhlgangnachrichten. Britta dagegen kriegt bei schlechter Kleidung Brechreiz. „Kuck ma, den. Schiefer Mund, Slipper, die verwaschene Badehose bis zum Bauchnabel hochgezogen, und so zum Essen kommen. Sofort kastrieren, die Pottsau. Und die erst mal, diese Specknutte im transparenten Bademantel.“ Und immer weiter wird tagein, tagaus gehasst, gehasst, gehasst. Die reisenden Säufer hassen die reisenden Kiffer, die Raver die Rocker und die Abstinenzler alle anderen. Die Zugfahrer verabscheuen die Busfahrer, die Sandalenträger die Sneakerleute und die in langen Hosen die in Shorts.

Die Englisch Sprechenden verachten die Fremdsprachenstammler, die Braungebrannten die mit Sonnenbrand, die Kahlköpfigen die Dreadlockigen, die Dreadlockigen die Romanleser, die Romanleser die I-Pod-Verkabelten, die I-Pod-Verkabelten die Linksträger, die Linksträger die Rechtsträger …

Und was soll ich sagen: Auf eine geheimnisvolle, wunderbare Weise haben sie alle, alle Recht. CHRISTIAN Y. SCHMIDT