Aus Liebe zum Doppelpass

„Zidane und ich“ von Philippe Dubath ist ein philosophisches und lebenskluges Buch über den Fußball und darüber, wie dieser dabei helfen kann, ein normales Leben zu einem besseren werden zu lassen

VON REINER LEINEN

Den zweitschönsten Satz vorweg: „Trotz meiner Schwächen, meiner Mängel, meiner Unfähigkeit über mich hinauszuwachsen, trotz all dieser Lasten auf den Schultern entdeckte ich die großzügige Gastfreundschaft des Fußballs. Denn auch er trägt einen Mantel, der weit genug ist, um sie alle aufzunehmen und schön warm aneinander zu drücken, die Schönen und die Begabten, aber auch die Mageren, die Hässlichen, die Langsamen, die Buckligen, die Scheinheiligen und die Bösewichte.“

Einer von vielen Sätzen voller Poesie, die einem gelungen sind, dem das Leben lange nicht sonderlich zugeneigt war. Und jetzt hat er dieses Büchlein zustande gebracht, das als Kleiner Prinz unter den Fußballbüchern daherkommt. „Zidane und ich“ ist in Zeiten, in denen die Ballzauberer selten werden, allem voran ein verkaufsträchtiger Titel und zugleich ein irreführender. Was ihm nicht schadet, im Gegenteil. Denn das Buch sagt uns nichts über Zidane, über den wir schon so viel wissen, aber fast alles über den Autor. Der heißt Philippe Dubath, ist gebürtiger Franzose, lebt am Genfer See, ist heute Journalist und Fotograf für Westschweizer Zeitungen und ist für ebendieses Büchlein mit dem renommierten Prix Lettres Frontière bedacht worden.

Dubath erzählt hier seine Lebensgeschichte, als einer, der lange als Verlierer durchs Leben lief, als Geschundener, Umhergestoßener, und der auf wunderbare Weise erfahren durfte, dass der runde Ball zuweilen selbst die schlimmsten existenziellen Wunden zu heilen vermag. Das Büchlein ist eine Liebeserklärung, ein achtzigseitiger Brief an Nanon, die Gattin, die nicht verstehen soll, bloß darum wissen, wie es um Philippe bestellt ist, was ihn umtreibt und bewegt. Vor allem aber ist es ein Brief an uns, die wir den Ball lieben, die wir erinnert werden wollen, daran, wie wir zum Fußball kamen, woran wir uns erfreuen und wie wir mit seiner Hilfe ein normales Leben zu einem besonderen werden lassen.

Kaum eine Seite, auf der wir nicht innehalten und in uns gehen, uns zurückbesinnen und unsere eigene Geschichte mit dem runden Leder aufs Neue durchleben: der erste Stadionbesuch an der Seite des Vaters, die Enttäuschung, als der ein Spiel anschaut und auf dem Absatz kehrtmacht, weil sich seine Erwartungen nicht erfüllen, die Träume von sagenumwobenen Toren und vertrackte Unzulänglichkeiten in der Ballbehandlung, die Weggefährten am Ball, mit denen uns so viel verbindet, wenn wir einmal den Doppelpass mit ihnen gespielt haben, selbst wenn wir im wirklichen Leben nichts gemein und uns nichts weiter zu sagen haben.

Glück und Tragik liegen bei Dubath nah beieinander. Deshalb lesen wir weiter, lesen von Demütigung und Missbrauch und davon, dass es der Ball ist, der neuen Lebensmut gibt, jeden Tag zu einem neuen Vergnügen macht. Wir lesen davon, dass auf dem Platz Dinge zu bekommen sind, die das raue Leben uns oft vorenthält („Inzwischen weiß ich übrigens, dass es nicht viele Orte auf der Welt gibt, wo man sich so schnell um den Schmerz eines zu Boden gegangenen Kindes oder Mannes kümmert“), und verstehen den Fußball als Metapher eines – im Wortsinn – bewegten Lebens, als Spiel, das immer wieder von vorn anfängt.

Inzwischen ist Dubath in die Jahre gekommen. Anlass genug für den schönsten Satz, uns allen als Tröster anempfohlen: „Fußball zu spielen, nicht mal sehr gut, hindert einen nicht daran, älter zu werden und schließlich erwachsen. Im Gegenteil. Und erwachsen zu werden hindert einen nicht daran, weiter Fußball zu spielen.“

Philippe Dubath: „Zidane und ich“. Bilgerverlag, 2004, 12,50 Euro