TÜRKEI-VERHANDLUNGEN DURCH ZYPERN BEINAHE AUSGETRICKST
: EU-Prinzipien blieben auf der Strecke

Kannte bisher irgendjemand das Zusatzprotokoll zum Ankara-Abkommen? Bis gestern waren das sicher nur einige Zypernkenner. Doch nun wäre beinahe die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei daran gescheitert. Das ist kein Zufall. Der Streit ums Ankara-Protokoll zeigt vielmehr, wie weit voneinander entfernt die Türkei und Europa auch 41 Jahre nach Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens immer noch sind.

Eigentlich dreht sich der Streit um eine Selbstverständlichkeit: Wenn die Türkei EU-Mitglied werden möchte, muss sie zuvor alle Staaten, mit denen sie schließlich am Verhandlungstisch sitzen will, auch völkerrechtlich anerkennen. Also auch Zypern. Für die Türkei ist dies jedoch keineswegs selbstverständlich – erst recht nicht, seit die Zyperngriechen per Volksabstimmung den Annan-Plan zur Wiedervereinigung ihrer Insel verworfen und damit der türkischen Innenpolitik einen riesigen Scherbenhaufen beschert haben. So bleibt die Anerkennungsforderung der EU für die Türkei ein weiteres Hindernis auf ihrem langen Weg in die Union, obwohl die Erdogan abverlangte Paraphierung keine völkerrechtliche Anerkennung Zyperns bedeutet hätte. Und obwohl Erweiterungskommissar Verheugen der Türkei seit Jahren klar zu machen versucht, dass das Zypernproblem vor Beitrittsverhandlungen gelöst werden muss. Doch was für die EU eine juristische Frage ist, ist für die Türkei eine Frage der Ehre. Und die ist nun erst einmal auf Kosten des Rechts gerettet worden.

Verlierer des Geschachers ist die EU. Da es keiner der Regierungschefs wagte, den „historischen“ Türkei-Gipfel scheitern zu lassen, hat die Regierung Erdogan eine wichtige Erfahrung gemacht: Man muss nur lange genug Widerstand leisten, dann gibt die EU schon nach. Denn auch die anderen Teile des Gipfelbeschlusses fielen ganz im Sinn der Türkei aus. Die von den Konservativen gewünschte Formulierung, dass auch die EU aufnahmefähig sein muss, findet sich nur verklausuliert. Die 25 Staats- und Regierungschefs haben es nicht geschafft, der Türkei zu vermitteln, was die Grundprinzipien der EU sind. SABINE HERRE