Das trauliche Flackern der Lichter

Überall blinkt es. Meine Stimmung hellt sich auf. Warum machen die das nicht das ganze Jahr über, so wie früher?

Im Taxi müssen wir jetzt immer so ein Schildchen dabei haben mit unserem Namen drauf und einem Foto, damit die Leute auch wissen, wie ihr Fahrer unter der Strumpfmaske aussieht und wie er heißt, um ihn später vor seiner Haustür verprügeln zu können, falls auf der Fahrt selber die Hände zu voll waren mit Weihnachtseinkäufen. Unseren Berufsvertretern fällt tatsächlich noch immer etwas Neues ein, wenn es darum geht, sich und die Kollegen auf der Straße zum Gespött zu machen. Leer und gedemütigt blickt mich das Gesicht auf dem Foto an, auch wirkt es seltsam rosig und aufgedunsen. Doch es ist wohl meines, Weihnachten 2004.

Aber die Straßen haben sie schön gemacht: auf dem Ku’damm, Unter den Linden, in der Friedrichstraße – überall blinkt es. Meine Stimmung hellt sich auf. Warum machen die das nicht das ganze Jahr über, so wie früher? Fast 50 Jahre lang war Berlin nicht mehr so schön. Ein toller Anblick: So muss es im Krieg gewesen sein, sommers wie winters – dieses trauliche Flackern und Blinken tausender von Lichtern, von den alliierten Bombern aus gesehen. Das hat die Piloten für so manche, von uneinsichtigen und verbissenen Flakschützen hervorgerufene Gefahr entschädigt. Man ließ einfach noch ein paar Weihnachtsbäume mehr in den Berliner Himmel fallen, um besser sehen zu können, und blickte besinnlich hinterher: „Happy Christmas, Berlin …“ – eine herrliche, eine stimmungsvolle Zeit.

Heute bin ich der Pilot, doch anstatt fünf Tonnen Krautvertilgungsmittel im Rumpf habe ich eine Thermoskanne im Kofferraum. Meine Kollegen und ich sind wahrscheinlich die Einzigen, die die Schönheit zu schätzen wissen, während wir Stunde um Stunde unbesetzt durch das Gefunkel zirkulieren. Alle anderen hasten ruhelos durch Straßen und Kaufhäuser. Sie haben kein Auge für diese Pracht. Später sitzen sie kaputt zu Hause im Sessel und sagen „puh“. Manche vielleicht auch „pah“ oder „poh“ – das macht im Prinzip keinen Unterschied. Wir fahren derweil noch immer leer durch die Stadt und staunen. Auf meinem Schild, das innen an der Windschutzscheibe hängt, steht „Bomber Harris“, daneben habe ich ein ausgeschnittenes Bild von Schweinchen Dick geklebt. Das fällt eh nicht auf, denn jeder durfte sich sein Schildchen selber basteln. Wie im Kindergarten. Dafür gibt es jetzt auch mehr Sicherheit im Gewerbe und weniger schwarze Schafe. Ebenfalls wie im Kindergarten – dort gibt es ja traditionell nur ganz wenige schwarze Schafe. Die lernen die Kleinen schließlich noch früh genug kennen – bis dahin müssen wir versuchen, die gegenwärtige Kulturdebatte von ihnen fern zu halten.

Ich bekomme Kundinnen, doch auf diesen Dreisatz des Geizes hätte ich gerne verzichtet: zwei Spanierinnen, eine Nobelherberge, kein Trinkgeld. „So nicht, hohe Frauen aus dem Pampelmusenlande“, möchte ich angesichts ihrer abgrundtiefen Barbarei gern mahnen – ausgerechnet in diesen Tagen, in denen überall von Kultur, Zivilisation und westlichen Werten die Rede ist. Aber das behalte ich lieber für mich, sonst behaupten sie in ihrer Schamlosigkeit bloß, das hätten ihnen die Mauren beigebracht. Zumindest in spanischen Kindergärten könnte man vielleicht doch etwas früher mit der Kulturschulung beginnen.

So gegen zwei Uhr morgens werde ich langsam müde, und dadurch wirkt die Festbeleuchtung zunehmend psychedelisch. Und zwar weniger bei vertikaler Ausrichtung wie Unter den Linden als vielmehr bei horizontaler wie über dem Ku’damm. Man rauscht praktisch immer schneller durch einen sich stetig verengenden Tunnel aus Licht. Ja, man rauscht. Mein Taxi ist ein Starfighter, der Weihnachtsmann ein Dealer und von vorne grüßt Schweinchen Dick.

ULI HANNEMANN