Protest ist längst nicht abserviert

Demonstrationen gegen Hartz IV werden schärfer: Im Nobelrestaurant Borchardt essen Mitglieder der „Überflüssigen“ von den Tellern der Gäste, Aktivisten protestieren im Kaufhaus Wertheim

VON RICHARD ROTHER

Die Proteste gegen die umstrittene Arbeitsmarktreform Hartz IV nehmen an Schärfe zu. Zwei Wochen vor der geplanten Lahmlegung von Arbeitsagenturen haben Hartz-Gegner am Sonnabend mit spektakulären Aktionen auf sich aufmerksam gemacht. Im Kaufhaus Wertheim am Ku’damm protestierten als Weihnachtsmänner verkleidete Aktivisten lautstark gegen den Abbau sozialer Rechte, und im Nobelrestaurant Borchardt in Mitte störten am Abend mehrere Dutzend Protestierer den Restaurantbetrieb. Am 1. Januar tritt die Arbeitsmarktreform Hartz IV in Kraft, mit der die Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf Sozialhilfeniveau zusammengelegt wird.

Im Kaufhaus Wertheim seien die Aktivisten von einem sozialkritische Lieder singenden Chor und einer Sambagruppe begleitet worden, so ein Sprecherin der Organisatoren. Die Aktion habe sich aber nicht gegen die Angestellten des zur KarstadtQuelle-Gruppe gehörenden Hauses gerichtet. „Gerade am Beispiel Karstadt kann man sehen, wie schnell der Weg in die Arbeitslosigkeit gehen kann.“ Das Arbeitslosengeld II in Höhe von 345 Euro pro Monat sollen alle Erwerbslosen erhalten, die länger als ein Jahr ohne Job sind – unabhängig davon, welche Tätigkeit sie wie lange zuvor ausgeübt hatten.

Gegen 20 Uhr seien rund 25 in roten Pullovern mit der Aufschrift „Die Überflüssigen“ und weißen Theatermasken verkleidete Aktivisten ins Restaurant Borchardt in der Französischen Straße eingedrungen, berichteten Teilnehmer. Dort hätten sie sich von den Tellern der Anwesenden bedient. „Wir haben Bedarfsgemeinschaften mit denen gegründet, die sich ein Menü für 85 Euro leisten können“, sagte die Sprecherin der Organisation.

Ein Sprecher der „Überflüssigen“ berichtete, die Aktivisten hätten Speisekarten verteilt, auf der die Restaurantpreise und die Einkünfte von Arbeitslosengeld-II-Beziehern gegenübergestellt worden seien. Die meisten Gästen hätten zurückhaltend oder pikiert auf die Eindringlinge reagiert. Die Kellner hätten die Protestler schließlich aus dem Restaurant geworfen. Nach einer Viertelstunde seien die „Überflüssigen“ wieder verschwunden. Bis zum Inkrafttreten von Hartz IV soll es weitere derartige Aktionen geben, so der Sprecher.

Am 3. Januar wollen Hartz-Gegner in über 40 Städten Arbeitsagenturen blockieren. In Berlin ist eine Demonstration in die Arbeitsagentur Wedding hinein geplant. „Ziel der Aktion ist es, Hartz IV nicht reibungslos starten zu lassen“, heißt es in einem Aufruf der Organisatoren. FU-Professor Peter Grottian, der Anmelder der Demonstration, will sich heute mit dem Leiter der Weddinger Arbeitsagentur treffen, um über eine etwaige Öffnung des Gebäudes für eine Protest- und Betroffenenversammlung zu verhandeln.