Klinsmann bricht sich kein Bein

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft verliert gegen Südkorea ihre erste Partie unter der Leitung von Bundestrainer Jürgen Klinsmann. Der bleibt gefasst und sagt: „Das haut uns nicht um und tut uns in keiner Weise einen Abbruch“

AUS BUSAN MARTIN HÄGELE

Noch immer bewegen die Worte des ehemaligen Nationalmannschaftskapitäns Oliver Kahn die meisten Landsleute. Keiner machte 2004 mehr Schlagzeilen als der gestürzte Titan. Und wenn der Mann, der wohl am schlechtesten von allen Bundesligaprofis verlieren kann, tatsächlich einmal verliert, kann man durchaus Angst vor ihm und seinen Statements bekommen. Gestern im Stadion von Busan aber wirkte Kahn fast befreit, wie einer jener Zenweisen, die er so verehrt. „Für einen Torwart war dieses Spiel ein Albtraum. Zwei Sonntagsschüsse, drei Tore kassiert, das passt in mein Jahr. Ich bin froh, dass dieses Jahr beendet ist.“ Dann stoppte des Ex-Titanen Rede, kurze Pause, der Schlusssatz fehlte noch: „Es reicht.“

Das hat sich auch Kevin Kuranyi, ein anderer Hauptdarsteller des Fußballjahres 2004, gedacht. Der Stuttgarter Torjäger, der in diesem Jahr Nationalspieler wurde und später den starken Einstand des neuen Bundestrainers Jürgen Klinsmann mit seinen Treffern besiegelt hat, wurde gegen die Südkoreaner nach 75 Minuten ausgewechselt – Kuranyi hatte seine Torgarantie verloren. Auf dem Weg vom Feld rief er gleich den Mannschaftsarzt Doktor Josef Schmitt zur Hilfe. Erste Notversorgung in der Kabine war gefordert. Die Lippe war aufgeplatzt und ein Knie tat weh. „So kurz vorm Urlaub wollte man sich nicht verletzen“, sprach Kuranyi wohl ganz im Sinne einiger Teamkameraden. Man habe beim Schiedsrichter aus Malaysia auch wegen der Härte der Koreaner protestiert und gelbe Karten gefordert. Doch der habe geantwortet, es handle sich ja um ein Freundschaftsspiel – und: „In solchen Spielen verteile ich keine Karten“.

Man hätte dem lieben Kevin vielleicht erklären sollen, dass in diesem Land die meisten Kampfsportarten erfunden worden sind. Und dass diese brodelnde Betonschüssel von Busan als Mekka des koreanischen Fußballs gilt, seit die „Roten Teufel“ an dieser Stätte ihr erstes Welt- meisterschaftsspiel gewonnen haben. In den heißen Juni von 2002 fühlten sich 45.000 Fans zurückversetzt, der Geist ihres Gurus Guus Hiddink schien auf einmal wieder über sie gekommen zu sein, obwohl es eine ganz junge Mannschaft mit einem Durchschnittsalter von 23 Jahren, zwei Debütanten und einem 19-jährigen Libero war.

Die runderneuerte Generation des WM-Vierten aus Asien trat als geschlossene Kampfgruppe auf, als hingen die Karrieren der fünf Kims, drei Parks, zwei Lees und einem Cha von diesem Spiel ab, und sie verlegten sich dabei auf eine Defensiv- und Kontertaktik, welche sich Gastgeber-Teams normalerweise kaum leisten können. Und es störte die Mannschaft des holländischen Trainers Jo Bonfrere, der gleichermaßen um seinen Job kämpfen musste, dass Jürgen Klinsmann den roten Abwehrwall erst als „Fünferreihe und davor eine Dreierreihe“ und danach als „eine einzige Achterkette“ definierte.

Doch dass die deutsche Mannschaft im Finale dieses Schlagabtauschs 1:3 verlor und somit in der Rechnung vom deutschen Fußball-Aufschwung unter Klinsmann ein erstes Minus steht, muss nicht einmal schaden. Möglicherweise kam dieses Negativerlebnis sogar zum bestmöglichen Zeitpunkt, weil manche schon glaubten, die junge Rasselbande um Michael Ballack tobe sich durch bis zur Weltmeisterschaft 2006 – und dem jugendlichen Elan des Talentschuppens seien keine Grenzen gesetzt. Es ehrt alle Mitglieder der Nationalmannschaftsfamilie, dass nicht einer groß nach Ausreden suchte für ein Resultat, das sie eigentlich nicht verdient hatten, weswegen man die südkoreanische Hafenstadt trotz allem guter Dinge verließ. Manager Oliver Bierhoff war sogar richtig stolz darauf, dass die Philosophie vom Agieren statt Reagieren und immer den Kopf zeigen anstatt sich einzuigeln bis zum ärgerlichen Ende durchgezogen worden war: „Es wäre doch schlimm gewesen, wir hätten 1:1 gespielt, aber den Ball nur hin und her geschoben.“ Wenn die neue Teamleitung nun aber nach Weihnachten in aller Ruhe das Korea-Video analysiert, wird sie einige Schwachstellen finden – und an den meisten lässt sich feilen.

Leider besitzt Fußball-Deutschland nur einen Michael Ballack, leider nahm sich dieser im zweiten Abschnitt eine fast halbstündige Auszeit, und leider schoss er seinen Elfmeter nicht so hart und platziert wie den Freistoß zum Ausgleichstreffer (25.). Der Stern des Kapitäns hätte diese Asienreise sonst noch deutlicher überstrahlt, als dies auch so schon der Fall ist. Schön für Klinsmann, dass sein neuer Anführer nicht nur Klasse am Ball, sondern eine außergewöhnliche Persönlichkeit besitzt. Und es ist auch keine vorweihnachtliche Milde, sondern eher das vernünftige Urteil eines ehemaligen Torjägers, wenn der Bundestrainer den positiven Schluss aus einem guten Dutzend versemmelter Tormöglichkeiten zieht: „Wichtig ist, dass man die Chancen herausspielt.“