Olympiasportlerin im Innenministerium

In Österreich wird Liese Prokop überraschend neue Innenministerin, was Kritiker der FPÖ-Flüchtlingshetze hoffen lässt

Über Österreichs künftige Innenministerin gibt es keinen Kommentar, in dem nicht ihre Vergangenheit als Fünfkämpferin bemüht wird. Liese Prokop gelangte zu nationalem Rum, als sie 1968 in Mexiko die olympische Silbermedaille im Fünfkampf holte. Ein Jahr später stellte sie in dieser Disziplin und im Weitsprung sogar einen Weltrekord auf. Letzterer hielt fast 30 Jahre.

Schon viele Sportler, die als Quereinsteiger in der Politik Wählerstimmen fischen sollten, sind lautlos wieder in der Versenkung verschwunden. Diesen Vorwurf kann man Prokop nicht machen. Denn sie hat schon 35 Jahre in der niederösterreichischen Landespolitik auf dem Buckel, davon die letzten 23 in der Landesregierung. Zuerst war sie Landtagsabgeordnete und Funktionärin des ÖVP-Arbeiter- und Angestelltenbundes, später leistete sie als Landesrätin für Sport, Familie und Soziales solide Arbeit. Landeshauptmann Erwin Pröll machte sie 1992 sogar zu seiner Stellvertreterin, die sie bis heute ist.

Der selbstbewusste Landesfürst, der zuletzt als einziger ÖVP-Mann Zuwächse erzielen konnte, betrachtet das Innenministerium als eine Art Erbpacht. So musste Bundeskanzler Wolfgang Schüssel nach dem plötzlichen Abgang des Pröll-Schützlings Ernst Strasser erneut auf die Personalreserven aus Niederösterreich zurückgreifen. Die Idee, ausgerechnet die immerhin schon 63-jährige Exsportlerin auszuwählen, reklamiert er aber für sich. Ihre Erklärung, davon völlig überrumpelt worden zu sein, klingt glaubwürdig. Schüssel, so die allgemeine Interpretation, braucht vor den Wahlen 2006 in diesem „harten“ Ressort eine „weiche“ Figur.

Berührung mit ihrem neuen Kompetenzbereich hatte sie bisher nur peripher: „Ich habe etliche Gendarmerieposten eröffnet.“ Ihr neuer Chef Schüssel hält diesen Erfahrungsmangel für zweitrangig. Er suchte ein Frau „mit Souveränität“, die „nicht mit den Nerven flattert“.

Außer SPÖ-Generalsekretär Norbert Darabos, der vom „letzten Aufgebot“ einer personell erschöpften ÖVP sprach, äußerten sich auch Oppositionspolitiker zurückhaltend bis positiv zu Prokops Nominierung. Wiens SPÖ-Bürgermeister Michael Häupl bescheinigt ihr politische Verlässlichkeit und traut ihr in heiklen Fragen „Augenmaß und Sensibilität“ zu. Grünenchef Alexander van der Bellen sieht sie als „bundespolitisch unbeschriebenes Blatt“ und bringt ihr höfliche Skepsis entgegen.

Geradezu enthusiastisch wird Prokop hingegen von den Chefs von Caritas und Diakonie begrüßt. Die Kritiker der Strasser’schen Asylverschärfungspolitik erhoffen sich, mit ihrer Kompetenz in Flüchtlingsfragen wieder ernst genommen zu werden. Erste Wortmeldungen von Prokop, in denen sie sich klar von der FPÖ-Ausländerhetze abgrenzte, lassen diese Hoffnungen berechtigt erscheinen. Da die FPÖ ihre Kampagne gegen Asylwerber sicher fortsetzt, wird Prokop wohl schon bald Nerven brauchen, die nicht flattern.

RALF LEONHARD