Drahtigel ohne Rasierapparat

Im elektronischen Hobbykeller: Deutschlands Synthesizerfreaks trafen sich in Dortmund. Für die Szene der Musiktüftler hat Techno so einen Bart

Regelmäßig klatschend, das Mikro am Revers, bannt er den Hall der Hallen „Mit 13 habe ich meinen ersten Drahtigel zusammengelötet“

AUS DORTMUNDLUTZ DEBUS

Gegluckse kommt aus den Lautsprechern. Der Kellerraum misst vielleicht sechs Meter im Quadrat. Zwölf blinkende Türme sind in ihm aufgestellt. Überall hängen Drähte. Keyboard-Tastaturen stehen herum. Ein Arrangement wie ein Gesamtkunstwerk. Hier treffen sich die „Di-Ei-Weis“. Englisch ausgesprochen steht die Abkürzung für Menschen, die dem Motto „Do it yourself“ nachgehen. Und was tun die Männer im Alter von Mitte Zwanzig bis Mitte Vierzig? Laien könnte man mit dem Wort “Synthesizer“ abspeisen.

Aus Aachen, Freiburg, Bonn, Frankfurt, Karlsruhe, Erfurt und Leipzig sind sie nach Dortmund gekommen zum diesjährigen Treffen der Selbstbauer elektronischer Musikinstrumente. Es findet in der Werkstatt der Kirchlichen Diakonischen Bildungsstätte Haus Husen zu Füßen des Spielkasinos Hohensyburg statt.

Martin Czech hält gerade einen Vortrag über ein Hallgerät, das richtig hallen kann. Viele Musiker gäben sich mit viel zu simplen Geräten zufrieden. Sie fragten nur nach Verzögerung und nach der Anzahl der Hallwiederholungen. Tatsächlich gäbe es aber so viele verschiedene Hallsituationen wie Räume auf dieser Welt. Der gezeigte Apparat bemüht sich, sie alle synthetisch herzustellen.

Dafür lief Czech, regelmäßig in die Hände klatschend, mit einem Mikrophon am Revers durch die Halle des Dresdner Ostbahnhofs. Der Kuppelbau zeigte ihm, wie Schallwellen in Parabolspiegeln reagieren. Auch Schwimmbäder und mit Marmorplatten ausgelegte Treppenhäuser waren vor ihm und seinem Mikro nicht sicher. Mit Hilfe seines Computers bannt er dann den Hall der Hallen. Und nun könnte eine Symphonie aufgenommen werden, als wäre sie in der sächsischen Schalterhalle aufgeführt worden. Czech tippt etwas in die Tastatur seines Laptops. Futuristisches Zischen kommt aus den Lautsprechern. „Die Becken eines Schlagzeuges klingen ähnlich wie das weiße Rauschen“, sagt einer die Di-Ei-Wies, die Anwesenden nicken.

Später im Gespräch zitiert Czech den Musikwissenschaftler Friedrich Blume aus dem Jahr 1958: “Ist es statthaft, dass wir die Axt an die Wurzeln einer der vollkommensten Schöpfungen Gottes legen, um dann aus den Trümmern eine Fratzenwelt aufzubauen, die den Schöpfer äfft? Ist das nicht Vermessenheit? Streift es nicht an Blasphemie? Es mag wohl sein, dass diese nur durch Apparate produzierbare und reproduzierbare Schallgeneration etwas ist, was unser Zeitalter der Atomzertrümmerung und der Vollautomation spiegelt.“ Ist der Klang aus dem Halbleiter also eine Gotteslästerung? Czech ist sichtlich verärgert wegen dieses Zitates – es ist 45 Jahre alt.

Ein anderer Synthesizer-Begeisterter zeigt eine Kiste, die aus einer sowjetischen Kaserne stammen könnte – einen olivgrünen Blechkasten mit Bakelit-Knöpfen über kyrillischen Buchstaben. Auf Knopfdruck erklingen ziemlich synthetisch klingende Geigen. Dieser Lizenznachbau, ursprünglich aus den USA, war das Juwel für alle Musiker von Magdeburg bis Wladiwostok. Gleich mehrere Türme voller Elektronik hat Jörg Schmitz mitgebracht.

Und wie kommt ein Mensch zu so einem Hobby? Jörg Schmitz ist eigentlich Mediziner. Die Wahl des Studium sei eine „glatte Fehlentscheidung“ gewesen, gibt er unumwunden zu. Der Umgang mit Menschen reize ihn nicht so wie der mit Maschinen, mit totem Material. Auch die berufliche Spezialisierung auf Pathologie habe ihm dabei nicht wirklich geholfen. Nur mit seinen drahtigen Musikmaschinen sei er wirklich glücklich.

Stolz präsentiert auch der Informatikstudent René Schmitz seinen Synthesizer. Natürlich klingt auch dieser etwas anders als ein handelsübliches Modell. Aber darum sei es ihm in erster Linie gar nicht gegangen: Er wollte der Welt zeigen, dass es prinzipiell möglich ist, ein Instrument fast nur mit Röhren statt mit Transistoren zu bauen. So fehlt an dem Gerät natürlich nicht das Sichtfenster, das den Ausblick auf die Elektronik des vergangenen Jahrtausends freigibt. Kleine knubbelige Röhren glimmen anheimelnd wie ein schwelendes Kaminfeuer.

Als in den 1960er Jahren die ersten Synthesizer auf den Markt kamen, hatten sie noch die Ausmaße der hier zur Schau gestellten Schrankwände. Keith Emerson von der Giganto-Rockband Emerson, Lake & Palmer ging dereinst mit Messern auf seine Bühnen-Elektronik los, wurde unter seinen Klangmaschinen fast begraben. Doch inzwischen ist elektronische Musik keine Sensation mehr. Radiogedudel kommt ausnahmslos von der Festplatte, Komponisten basteln mit Mausklick ihre Hits zusammen, auf den Bildschirmen der Tonstudios sehen Musikstücke aus wie mit dem Legobaukasten gebaut.

Den hier anwesenden Erfindern ist die Stomlinienförmigkeit ein Graus. Wehmut kommt auf, wenn es den Herren um die heroische Geschichte elektronisch erzeugter Klänge geht: „Echten Techno hatten die schon in den Laboratorien von Telefunken 1946 drauf gehabt. Klangmodulation von rhythmischen Strukturen. Damals ein Ergebnis intensiver Forschung, heut‘ läuft es in jeder Disco“, sagt ein norddeutscher Elektrofreak: „Ich möchte Eure Erfindungen nicht schmälern, aber all das, was ich heut gehört hab, wurde vor 50 Jahren schon im Institut für Phonetik in Bonn produziert.“ Andächtiges Nicken in der Runde.

Jörg Schmitz zeigt stolz den Nachbau eines echten Theremin. Das Gerät aus dem Jahre 1919 sollte die Musikwelt revolutionieren. Mit Handbewegungen in der Luft wurde das Instrument gespielt. Die Entfernung der linken Hand zu einer Antenne bestimmte die Lautstärke des Tons, die rechte Hand modulierte die Tonhöhe. Der Konstrukteur, ein gewisser Lev Sergeiewitch Termen, wurde von Lenin höchstpersönlich empfangen, zog es aber später vor, in die USA zu emigrieren.

Die Männer haben alle mal klein angefangen. „Mit 13 habe ich meinen ersten Drahtigel zusammengelötet. Die Bauteile waren nicht auf einer Platine befestigt, hingen nur in der Luft rum. Da kamen auch Töne raus.“ Die Zeitschrift „Elektor“ war seit den Siebziger Jahren ein Muss. Gespannt warteten die Tonbastler einen ganzen Monat, bis die neuste Ausgabe am Bahnhofskiosk lag. „So ein Bauplan von Elektor taugte in der Regel nichts. Aber ich habe mir dann überlegt, warum es nicht funktionierte“, erinnert sich Czech: „Da trennte sich die Spreu vom Weizen“, schmunzelt er.

Richtig aufgeregt wird die Debatte in der Werkstatt, als es ums geistige Eigentum geht. „Stelle nichts auf Deine Homepage, es wird alles gestohlen“, mahnt einer, manche ihrer Schaltpläne hätten sie im Internet gefunden, eins zu eins abgeschrieben, selbst die Widerstandswerte seien unverändert geblieben. Doch den Namen des berüchtigtsten Klauers soll die taz nicht veröffentlichen. Dies würde böses Blut machen in der Gemeinde der Musikelektronikforscher.

Leben können die wenigsten Selbstbauer von ihrer Passion. Selbst der bekannteste Hersteller, die Firma Moog, ging schon einmal Pleite. Und weil es zum Leben nicht reicht, vertreibt der Musiktechniker eben neben dem Synthesizer Marke Eigenbau auch noch Jeans – Herrenbekleidung und Herrenelektronik in einem Ladenlokal.

Tatsächlich sind fast nur Männer anwesend. Nur die Freundin eines der Ingenieure ist mitgekommen, aber das Interesse an dem Hobby ihres Liebsten ist nicht besonders groß. Lieber sitzt sie auf einer Lautsprecherbox, löst Kreuzworträtsel. Ob sie das alles nicht spannend finde? „Mein Freund misst Spannung in Volt“, sagt sie lakonisch.

Bei der Kaffeepause sitzen am Nachbartisch dann doch viele Frauen – vom Yogakurs im ersten Stock. Ein gemeinsames Gespräch kommt nicht zustande. Eine recht persönliche Frage wurde zum Abschied noch beantwortet. Warum tragen die meisten angereisten Synthesizerbauer einen Vollbart? Antwort: „Frühmorgens muss man sich eben entscheiden: Nehme ich einen Rasierapparat in die Hand oder den Lötkolben.“