Störtebeker im Licht der Wissenschaft

1878 wurden am Hamburger Elbstrand zwei Schädel gefunden, die sofort Spekulationen auslösten. Der Überlieferung zufolge soll im Jahr 1400 an dieser Stelle der Pirat Klaus Störtebeker enthauptet und sein Kopf, wie damals üblich, zur Abschreckung aufgespießt worden sein. In dem besser erhaltenen Exemplar wurde sofort Störtebekers Schädel vermutet, aber es dauerte fast 600 Jahre, bevor die Knochen zum ersten Mal rechtsmedizinisch untersucht wurden. Der Befund legt nahe, dass es sich um einen Piratenführer gehandelt haben könnte – sei es Störtebeker selbst oder Godeke Michels, der damals der Schrecken der Hansestädte war und ein Jahr nach Störtebeker hingerichtet wurde.

Von Störtebeker sind zahllose Legenden im Umlauf. Einigermaßen sicher ist aber nur, dass er ein Kaperführer war, der aus Mecklenburg stammte und unter dem Piratenkapitän Godeke Michels diente. Störtebeker wurde 1400 vor Helgoland gefangen genommen, Godeke Michels ein Jahr später vor Wilhemshaven.

Sollte der in Hamburg gefundene und ausgestellte Schädel tatsächlich der von Klaus Störtebeker sein, sind die überlieferten Bilder des Piraten allesamt falsch. Das berühmteste zeigt in Wirklichkeit einen Berater am Hof Kaiser Maximilian I. (oben links). Mit den Methoden der modernen Gerichtsmedizin war es jetzt möglich, ein einigermaßen realistisches Modell anzufertigen (oben rechts).

Die Gesichtsnachbildung ist ein zunehmend auch in der Gerichtsmedizin anerkanntes Verfahren. Als Erster im engeren Sinne wissenschaftlicher Rekonstrukteur gilt der russische Anatom Michail M. Gerassimow (1908-1970): Er erprobte die Methode zunächst an historischen Figuren wie Iwan dem Schrecklichen und Friedrich Schiller, ab Ende der 1930er Jahre jedoch auch zunehmend in aktuellen Kriminalfällen. Die westliche Wissenschaft war zunächst skeptisch. In Deutschland sorgte der Forensiker Richard Helmer ab den 1980er Jahren für eine breitere Akzeptanz. „Eine plastische Gesichtsrekonstruktion“, hat er gesagt, „soll und kann nur Hinweise geben. Ein Identitätsbeweis muss durch andere Untersuchungsverfahren geliefert werden.“ taz