Sie schenkte ihm zwei blaue Augen

Elisabeth Daynès ist ein Star im Fach Gesichts-Rekonstruktion: Ein Interview über die engen Grenzen dieser Disziplin

Elisabeth Daynès ist die führende Gesichtsrekonstrukteurin Europas: Bevor sie ein passendes menschliche Antlitz für den Hamburger Piraten-Schädel modellierte, hat sie in ihrem Pariser Atelier bereits die aktuell gültigen Porträts von Persönlichkeiten wie dem Neandertaler und Ötzi, der Gletschermumie aus den Ötztaler Alpen geschaffen. Der taz erzählte sie von ihrer Begegnung mit Störtebeker

taz: Sieht Störtebeker so aus, wie Sie ihn sich vorgestellt hatten?

Elisabeth Daynès: Naja, also ich persönlich hatte ihn mir deutlich schmutziger gedacht, als ich ihn jetzt gemacht habe – mit einer viel wüsteren Frisur, einem ungepflegteren Bart und insgesamt deutlich heruntergekommener. Aber die Wissenschaftler haben gesagt, er sei immer entlang der Küste gesegelt und hätte sich in den Häfen waschen können. Ich hatte mir die Welt eines Piraten Ende des 14. Jahrhunderts schwieriger vorgestellt. Barbarischer, wenn Sie so wollen.

Wie nah sind Sie denn Klaus Störtebeker gekommen, als Sie ihm ein Gesicht gegeben haben?

Wenn ich ein Gesicht mache, muss ich mich in die Person und ihre Welt hineindenken, mich richtig in ihr Universum versenken. Es geht ja auch darum, ihrem Gesicht einen Ausdruck zu verleihen – um möglichst dicht an die Wahrheit heranzukommen.

Bleibt da Platz für Ihre Fantasie?

Der subjektive Spielraum ist außerordentlich eng. Die Knochenstruktur eines Schädels gibt bereits sehr viel vor – die Dicke der Weichteile, die Lage der Augen, der Halsansatz, bis hin zur Beschaffenheit der Haut. Sehr wichtig ist auch das Todesalter. Die Daten werden von einem Anthropologen, mit dem ich zusammenarbeite, erfasst. Er erstellt daraus ein Computer-Porträt. Das ist dasselbe Verfahren, das auch angewandt wird, um entstellte Kadaver zu identifizieren. Einen gewissen Anteil Improvisation gibt es beim Ausdruck der Augen und der Hautfarbe. Aber auch das ist ein ständiges Hin und Her mit den Anthropologen.

Wegen der Herkunft?

Exakt. So auch bei Störtebeker: Ihm dunkelbraune Augen und schwarze Haare zu verpassen, stand nicht zur Debatte.

Haben Sie nicht manchmal Lust, völlig freie Skulpturen zu machen?

Doch schon, damit habe ich ja angefangen: mit Theater- und Filmmasken. Damals habe ich Trolle gemacht und Feen – vollkommen fiktive Figuren also. 1988 bekam ich einen Auftrag von einem Museum: Ich sollte ein Diorama von einer prähistorischen Landschaft gestalten. Dabei hat mich die Urgeschichte gefangen genommen. Und es ist bis heute nicht so, dass ich die Arbeit nach strengen Vorgaben irgendwie frustrierend fände.

Sehen Sie sich selbst als Illustratorin oder als Künstlerin?

Ich verstehe mich als Künstlerin – als Künstlerin im Dienst der Wissenschaft. Meine Aufgabe ist es, eine Verbindung zum großen Publikum herzustellen. Nehmen Sie zum Beispiel Kinder: Ein Schädel sagt denen nicht viel. Wenn sie ein Gesicht sehen, können die sich viel mehr darunter vorstellen. Gesichter sind einfach viel bewegender.

ENTRETIEN: Benno Schirrmeister