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Archiv-Artikel

Ein Schädel von Welt

Seit fünf Jahren beschäftigt sich der Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschel mit dem so genannten „Störtebeker-Schädel“. Seine Forschungen haben dazu beigetragen, dass jetzt der komplette zum Schädel gehörige „Störtebeker-Kopf“ rekonstruiert worden ist (siehe „Sie schenkte ihm zwei blaue Augen“). Das Protokoll einer rechtsmedizinischen Untersuchung

Als ich mich zum ersten Mal wissenschaftlich mit dem „Störtebeker-Schädel“ beschäftigte, stellte ich fest, dass dieser Schädel noch nie rechtsmedizinisch untersucht worden war. Klar war, dass es sich um einen menschlichen Schädel handelte, aber man wusste noch nicht einmal, ob er einem Mann gehörte oder einer Frau.

Unsere Untersuchungen ergaben tatsächlich, dass der Schädel von einem Mann stammt. Hierfür spricht das markante Nackenmuskelfeld mit seinem ebenfalls markant entwickelten äußeren Hinterhauptshöcker, der kräftig ausgeprägte Warzenfortsatz hinter der Ohröffnung, das markante Relief des Schläfenmuskels und die Ausbildung der Brauenbögen. Das Alter des Mannes dürfte zwischen 25 und 35 Jahren gelegen haben. Es sah also so aus, als ob es sich durchaus um einen Piratenschädel handeln könnte.

Die nächste Frage war, aus welcher Zeit die Knochen stammen. Wir sägten ein kleines Stück aus dem Schädel heraus und schickten es an ein Forschungslabor in Oxford, das ihn mit Hilfe der Radiocarbon-Methode untersuchte. Das Ergebnis war, dass der Schädel aus der Zeit um 1400 stammt, was uns sehr positiv stimmte. Nach der Überlieferung ist Störtebeker ja 1401 hingerichtet worden.

An diesem Schädel gibt es ganz spezielle Verletzungen. Sie sehen hier oben dieses Loch, und Sie sehen diese vier Scharten direkt davor. Das Loch erklärt sich dadurch, dass man damals die Schädel der Piraten auf Holzbalken aufgenagelt hat. Darüber gibt es viele historische Darstellungen. So hat man den Schädel auch gefunden, mit einem Vierkantnagel drin, und so ist er auch hier im Museum ausgestellt.

Dieses Loch ist ein ganz besonderes Loch. Es ist nicht einfach nur hineingeschlagen, sondern es ist von vorne abgeschrägt, und davor befinden sich diese vier Scharten. Sie können sich das so vorstellen, dass jemand mit einem großen Entermesser oder vielleicht auch mit einem Schwert hier vier Mal zur Probe hineingehauen hat, um Maß zu nehmen, und dann das Schädelstück nach hinten weggebrochen hat.

Warum hat man das gemacht? Wir haben überlegt und gesagt, dass dieser Schädel ein ganz besonderer Schädel gewesen sein muss, den man erhalten wollte. Man wollte nicht einfach den dicken Nagel hineinhauen, denn dann hätte die Gefahr bestanden, dass der Schädel zerbirst. Man hat darum hier ein Loch vorbereitet und hat den Nagel lediglich durchgeschoben. Dies ist der einzige Schädel, den man gefunden hat, der auf diese Weise vorbereitet wurde. Offenbar sollte er nicht kaputtgehen. Man hat die Piratenschädel in Hamburg am Elbufer ausgestellt, an einer Stelle, an der alle Schiffe vorbeikamen. Dieser Schädel sollte wahrscheinlich monate-, wenn nicht jahrelang gesehen werden. Er muss also einer herausgehobenen Persönlichkeit gehört haben. Es war der Schädel eines Hauptmanns.

Dieser Schädel weist noch ein paar andere Besonderheiten auf. Auf der rechten Stirnseite hat man zwei Knochenscharten gefunden, da war die äußere Knochenlamelle zerstört. Das deutet auf eine Verletzung hin, die er vielleicht mit einem Schwert bekommen hat. Und von da ausgehend hat sich dann auch eine Knochenhautentzündung entwickelt, der Knochen weist darum diese Unregelmäßigkeiten auf, die aussehen wie kleine Knöpfe. Der Mann ist also ein Haudegen gewesen, er hat gekämpft, und das passt wieder zu dem Thema Pirat.

Man hat an diesem Schädel noch eine Reihe von anderen Veränderungen festgestellt. Er hat mit Sicherheit grobe alte Narben gehabt, und dann fehlte ihm auch ein Zahn, der schon viele Jahre vor dem Tode ausgefallen war. Dieses Zahnfach hier, das Zahnfach des linken oberen Schneidezahns, war wieder vollständig verschlossen. Auch das passt zu Störtebeker, weil er ja diese schlimme Wirtshausschlägerei gehabt haben soll, bei der sie ihn zusammengeschlagen haben. Er könnte den Zahn aber auch bei seinen Piratenkämpfen eingebüßt haben. Der Schädel muss einem Mann gehört haben, der sehr kräftig war, das sieht man an den kräftigen Knochenvorsprüngen.

Nächstes Jahr werden wir mit einigen Knochen dieses Schädels nach Kanada fahren, um eine DNA-Analyse machen zu lassen. Vielleicht können wir dann sagen, woher diese Person stammte, und das Material mit dem von lebenden Personen vergleichen, die Störtebeker heißen. Aber das ist noch Zukunftsmusik. Protokoll: Daniel Wiese