berliner szenen Ein Alphabet der Stadt

C wie Charlottenburg

Jemand steckte mir im Vorübergehen einen Zettel zu: Ich solle mich dringend nach Charlottenburg aufmachen. Es war bereits November. In diesem Stadtteil bin ich schon einmal gewesen, sagte ich, ich habe sogar dort übernachtet, was allerdings lange her ist. Aber jetzt erzählte man mir von einem Schloss und einem See, die unbedingt gesehen sein sollten. Also setzte ich mich in die U 2 und fuhr los.

Leider bin ich wohl vorher in herumliegende Hundefäkalien getreten, was mir erst Märkisches Museum auffiel. Zum Glück war der Wagon leer, ich stellte den betroffenen Fuß fest auf den Boden. Bis Gleisdreieck ging alles gut, dann stieg eine Schulklasse zu. Aufgekratzte Mädchen und Jungs, die sich verschwörerisch um den Ort der Schande herumdrapierten; gegenüber eine Reihe Rotjacken, direkt neben mir die Lehrerin. Nach drei Stationen begann eine Rotjacke das erste Mal „Hier stinkt’s voll“ zu stammeln. Zum Glück stieg ein Strubbelhund mit Dame („Der heißt Max!“) zu, der für genügend Ablenkung sorgte. Nervös sah ich ihrem Abgang an der Deutschen Oper entgegen.

Ich stieg am Sophie-Charlotte-Platz aus und trottete verschämt einigen Seniorinnen hinterher. Als ich versuchte, den Schuh an Gras und Stein sauber zu machen, pfiff mir ein eisiger Wind um die Ohren; meine Mütze hatte ich offensichtlich in der Bahn vergessen. Ein wunderliches Pärchen blaffte mich an, weil ich bei Rot die meilenweit autofreie Straße zum Schloss überquerte. Das Schloss selbst wartete mit absurden Eintrittspreisen auf; an dem See, nicht viel mehr als ein Karpfenteich, wurde ich von einem böse dreinschauenden Schwan verscheucht. Dann setzte Schneeregen ein. Charlottenburg meinte es gut mit mir.

RENÉ HAMANN