ausgehen und rumstehen
: Manche Nächte im Rio wetzen einem das Gemüt auf

Ein schnöder Sonntagnachmittag, und ich weiß keinen Rat, wohin mit mir und meiner Fahrigkeit. Die Schlaflosigkeit, der ich mich an den Hals geworfen hatte: viel zu viel. Ich hatte mich dem Schlaf verweigert, seit Tagen, seit Nächten – der Körper ein einziger Adrenalinstoß gegen die allgemeine Kraftlosigkeit. Jetzt ist es vorbei, und die längst erwartete Ermattung ist eingebrochen. Meine Welt fühlt sich sinnlos bekümmert an, was ist das für ein Leben, und draußen ist es auch schon wieder dunkel.

Der Abend davor im Rio – heiße Teenie-Disko im vorderen Raum, hinten trampelten X-Lover auf der Gitarre herum – ist jetzt nur noch ein Summen im Ohr wie ein fahler Nachgeschmack. Die grundlose Wut der letzten Nacht, die mich dort traf, blitzt wieder auf. „I like to move it, move it“: Die Schläge der Musik brachen in hackende Bewegungen aus, gingen hart gegen meine Grimmigkeit an. Ich hatte das Bedürfnis, jemanden ohne Anlass zu schubsen oder anzuschreien. Kaum mehr Luft zum Atmen, die Ohren wie taub, Licht blendete die Augen. „Du siehst so traurig aus“, sagten fremde Menschen zu mir. „Das ist eine Lüge“, sagte ich zu ihnen zurück, „ich versuche lediglich, abweisend zu blicken.“

Die Musik war zu laut, jeder Ton zog mich wie Treibsand nach unten. Immer dasselbe mit dem Rio, jeder Blick, der durch die Menge geschleudert wird, schreit: Schaut mich an! Der Junge mit den schwarzen Haaren, der schöne junge Rebell, lehnte an der Wand. Der Junge, den immer alle anstarren, der immer einen Schweif von hübschen Mädchen und auch ein paar Jungs hinter sich herzieht. Er wartete auf Komplimente für seine Coca-Cola-Jacke. Schmollend in der Ecke, weil ihm die Musik nicht zusagt, tanzend wie der Teufel, wenn alles stimmt. Manchmal widerfährt ihm Folgendes: Ein anderer Junge und ein Mädchen kommen Händchen haltend auf ihn zu, das Mädchen nimmt im Vorbeigehen seine Hand, streichelt sie und sagt zu ihrem Freund: „DAS ist ein sexy Junge.“

Machtspiele. Größenwahn. Gutes, wildes Leben. Diese Nächte, die sich wie ein Rockstar aufführen. In denen alle einen Knall haben, zu wenig schlafen und sich zu sehr betäuben, zu viel überlaute Musik hören, bis sie einen unberührbar und eingefroren aussehen lässt: die Sucht nach der wahren Attitüde. Das alles wetzt mein Gemüt auf. Und heute ist nur noch Unlust und Widerwillen übrig.

Die Helligkeit des Sonntags verschlafen. Die paar Quadratmeter Wohnung abgehen, unentschlossen, was es eigentlich zu tun gäbe. Aufstehen, in den Spiegel blicken. Ich stelle fest: Augenringe und Blässe können durchaus ansehnlich sein. Musik hören, wieder abstellen, da sie für den Augenblick unpassend scheint. Dafür höre ich in die Stille hinein und meine Nachbarn hysterisch lachen. Abermals hinlegen, auf der Wand neben dem Bett haben die Gäste der letzten Tage mit Bleistift Botschaften gekritzelt. Der Fernseher implodiert mit einem lausigen Zischen. Warten auf nichts. Das Telefon klingelt, eine Mädchenstimme resümiert die vergangene Nacht. Zittrig über Kabel stolpern, mehrmals über dasselbe. Den Laptop, den es jedes Mal fast vom Tisch reißt, wieder in Sicherheit rücken. Gläser mit den verschmierten Abdrücken der Münder von Freunden abwaschen, leere Flaschen beiseite räumen. Zeitung vom Samstag durchblättern. Den Wecker stellen, morgen früh raus und endlich eine Weile der Stadt den Rücken kehren.

JANE FRÄNZEL