Wider die plakative Langeweile

PLAKATKUNST Das Wilhelm Wagenfeld Haus in Bremen hat die „100 besten Plakate 2007“ zu einer Ausstellung versammelt – und verschafft Einblick in die Elite einer oft missachteten Kunstform

Wer glaubt, das Plakat sei in Zeiten digitaler Screens eine bedrohte Kunstform, der irrt

VON JAN ZIER

Es ist ein Plädoyer gegen die plakatierte Tristesse. Gegen die optische Umweltverschmutzung, die unsere Städte überschwemmt, ihre BewohnerInnen penetriert. Gerade in diesem Jahr, wo doch so viele Wahlen sind. 100 Plakate hat das Wilhelm Wagenfeld Haus in Bremen in einer Wanderausstellung versammelt, die „Besten“ des Jahres 2007 sollen es sein, aus dem gesamten deutschsprachigen Raum. Sie sind es zumindest nach Ansicht einer international besetzten Fachjury, ausgewählt aus immerhin eingereichten 1.662 Werken.

Natürlich steckt in dem superlativischen Titel bisweilen auch ein wenig eitle Selbstüberschätzung, es geht schließlich um Werbung. Aber noch öfter ist er, in der Tat: berechtigt. Auch wenn die Tatsache allerlei Fragen aufwirft, dass mit „Chief Creative Officer“ Ralf Zilligen einer der Juroren derselben Agentur entstammt wie gleich mehrere prämierte Plakate. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Als erstes fällt auf, was nicht vertreten ist: Parteien, natürlich, denn deren Reklame fällt ja zumeist durch „gähnende Langeweile“ auf, wie Beate Manske, Geschäftsführerin der Wilhelm Wagenfeld Stiftung sagt. Aber auch Fotos nackter Leiber fehlen erfreulicherweise, ebenso wie vordergründige Gewalt und Schockeffekte, wie sie einst Olivero Toscani und einen italienischen Bekleidungshersteller berühmt machten.

„Grenzwertig“, sagt Manske, sei allenfalls ein Plakat der Münchner Kammerspiele. Darauf zu sehen ist eine – womöglich türkische – Frau in einer Schlachterei, mit einem blutenden Schwein in der Hand, darunter der Satz: „Da könnte ja jeder kommen.“ Es ist eine fotorealistische Arbeit, zugleich aber auch die Ankündigung eines Theaterstücks.

Überhaupt fällt auf: Ausgezeichnet wurden vor allem Kulturplakate von mutmaßlich geringem Budget, die nicht in endlosen Meetings weich gespült wurden. Sie erschließen sich oft erst auf den zweiten, dritten Blick, beim Wandeln in Foyers, so wie jene Lesungsankündigung, die auf ornamentalen, vor allem originalen Tapeten gedruckt wurde.

Plakativ, mit signalhafter Fernwirkung also, indes durchaus subtil wird es vor allem dort, wo es um Antiwerbung, um politische Botschaften geht, so wie beim „Internationalen Menschenrechtsforum Luzern“. Vor rotem Hintergrund erscheint da weiß der Umriss eines adipösen Kleinkindes, das aus einer schwarzen Flasche trinkt. Das Logo darauf fehlt, doch der Markenhersteller dieser Brause ist unverkennbar.

Deren unmittelbare Konkurrenz ist ein Stockwerk weiter ebenfalls vertreten, doch auch dort fehlt, wie anderswo, jeder Hinweis auf das konkret umworbene Produkt, der Hersteller bleibt ungenannt. Wiedererkennung schaffen allein die blau-weiß-roten, wellenförmig angeordneten Farben. Und – wenn man ihn kennt – der Reklamespruch, Pardon: Claim.

Andere Entwürfe wiederum negieren sogleich die ursprüngliche Funktion des Plakates. Meistens handelt es sich dann um studentische Diplomarbeiten, die sich derart auf die möglichst vielschichtige Darstellung eigener gestalterischen Fingerfertigkeit fokussieren, dass der zu transportierende Inhalt darüber mehr oder minder vollkommen zurücktritt.

Doch immerhin: Jedes eingereichte Plakat muss einen Auftraggeber haben, es muss gedruckt worden sein und es muss – wo auch immer – ausgehangen haben. Die Teilnahme kostet zwischen 50 und 200 Euro. Andere Wettbewerbe sind da deutlich teurer. Entsprechend sind hier unter 488 Einreichern immerhin 146 studentisch, also potenziell arbeitssuchend. Der Wettbewerb dient ja bei aller Liebe zur Plakatkunst nicht zuletzt der Auftragsaquise. 128 Agenturen stehen 336 EinzelgestalterInnen gegenüber, und zumeist kommen sie aus Deutschland – obwohl andererseits das, was typografisch zu bestechen vermag, nicht selten in der Schweiz entstand.

Wer glaubt, dass das Plakat in Zeiten des Internets und digitaler Screens eine bedrohte Kunstform ist, der irrt. Schon weil die Herstellung viel preiswerter geworden ist. „Das Plakat kann sich behaupten“, sagt Manske. Und während es die einen jetzt optisch den flimmernden Bildschirmen annähern, greifen andere im Sinne des Retro-Looks vermehrt auf eine comic-hafte Bildsprache zurück oder auf Karikaturen im Stile der 50er.

Nur intelligente Produktwerbung ist immer noch selten – genau wie draußen auch. „Die Wirklichkeit der aktuellen Werbung ist so ernüchternd“, sagte jüngst der vom Spiegel zur Werberlegende erhobene Jean-Remy von Matt, „dass sich die Kreativen mit der Scheinwirklichkeit von Festivals trösten müssen.“ Und Wettbewerben.

Wilhelm Wagenfeld Haus Bremen, bis 30. August, auch als Katalog im Verlag Hermann Schmidt Mainz erhältlich (34,80 Euro)