Rhabarberstreusel neben rosafarbenen Käfigen

NATALIE TENBERGS GASTRO- UND GESELLSCHAFTSKRITIK: Der Kuchenladen in Charlottenburg – alte Schule

Das Einzige, woran man geschmacklich arbeiten könnte, ist der Latte macchiato

Das Schaufenster eines Ladenlokals wird von den Betreibern meist so gestaltet, dass es möglichst viele Kunden anzieht. Da werden die hübschesten und aussagekräftigsten Stücke ausgestellt, mitunter wird in diese bildliche Visitenkarte so viel Arbeit gesteckt, dass man es gleich für Kunst halten könnte. Auch der kleine Kuchenladen an der Kantstraße in Berlin-Charlottenburg hat sich mit der Schaufensterdekoration arg ins Zeug gelegt. Auf rosafarbenen Käfigen sitzen Vogelattrappen. Der Kuchen und die Torten, die dort gefangen gehalten werden, müssen nicht unbedingt echt sein, zeugen aber von Liebe zum Konditorhandwerk alter Schule. Aus einem anderen Backwerk ragt eine dunkelhaarige Barbie, wie einst aus Omas Ersatzklorolle, auf einer anderen Torte findet ein schmachtendes Hochzeitspaar en miniature zueinander. Ob das alles ernst gemeint ist?

Bestimmt, denn im Kuchenladen, der auch wirklich den spektakulären Namen „Kuchenladen“ trägt, sieht es besser aus. Allerdings nicht viel besser. Die acht dunklen Sessel für Gäste sind aus Kunstleder, die kleinen Tische, an denen sie stehen, machen keinen besonders hölzernen Eindruck. Die Lampen sehen aus wie die Kinder von Sissy und R2D2: ein wenig Zerbrechliches mit viel Metall. Der in der Berliner Gastronomie beliebte Stil, Oma-Cafés aus der Provinz zu zitieren, wird hier nicht erreicht. Doch dann steht auf einer Ablage hinter der langen Theke mit den vielen verschiedenen Torten ein rechteckiger Kuchen. Ein Fußballplatz mit grünem Rasen, Toren und fröhlichen Spielern, die Sonderbestellung zum Geburtstag eines Kindes, hier im Haus angefertigt. Ganz reizend. Der freundliche Mann hinter der Theke schaut stolz auf das Werk des Konditors. Die Gesichter der Figuren lächeln, man selbst lächelt plötzlich vor Rührung ebenso.

Vielleicht aber auch, weil alles im Kuchenladen fein gemacht und köstlich ist. Statt irgendwie etwas mit Himbeeren zu backen, reicht man dem Gast ein Stück Mürbeteig mit einer Schicht Milchreis, darüber genau so viel Himbeermus, dass es nicht zu süß wird. Statt des inzwischen an jeder Ecke angebotenen New York Cheesecake gibt es einen schweren „Chocolate Espresso Cheesecake“ mit Johannisbeergelee. Den sollten aber nur wirklich Hungrige bestellen, ein Nachtisch ist das nicht. Die Aprikosentarte hat in der exzellenten süßen Variante Crème Brulée zwischen der Frucht, in der herzhaften Version wird sie mit Kürbis aufgepeppt. Der heimliche Sieger dieser Zuckerparade aber: der lockere Rhabarberstreusel. Es gibt ja glückliche Menschen, die in der Lage, sind so etwas zu Hause zu backen. Wir anderen freuen uns, dass man so etwas auch kaufen kann.

Nach dem Schreck beim Blick in das Schaufenster überrascht der Kuchenladen positiv. Das Einzige, woran man hier wirklich geschmacklich arbeiten könnte, ist der Latte macchiato. Die rosafarbenen Käfige, die falschen Wellensittiche und die Barbie hingegen schließt man schon beim ersten Besuch ins Herz.

DER KUCHENLADEN, Kantstr. 138, 10623 Bln., (030) 31 01 84 24, www.der-kuchenladen.de, Di–Fr 12–19 Uhr, Sa/So 12–17 Uhr, S-Bahn Savignyplatz, Latte macchiato 2,60, Kuchen ab 1,90 Euro, Sonderwünsche auf Bestellung.

AUSGEHTIPPSZuletzt von der taz besprochen:KaDeWe. Tauentzien 10. 6. Stock, Restaurant Fischkutter. Natalie Tenberg: „Löst das Versprechen auf Erlebnis grandios ein.“AUF DER SUCHE NACH DEM VERLORENEN GLÜCK, Nazarethkirchstr. 43. Kirsten Reinhardt: „Nicht eben unprätentiös. Aber eine Herzensangelegenheit.“