LESERINNENBRIEFE
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■ betr.: „Revoluzzer auf Gottes Gehaltsliste“, taz vom 6. 5. 09

Machtpolitische Kirchenziele

Angesichts dieses Artikels stellt sich mir die Frage: Wo sind die vielen „frechen Protestanten“ heute? Wo nehmen sie Partei für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung? Die Politiker, die sich auf Kirchentagen die Klinke in die Hand geben und sich als Christen bekennen, sind meines Wissens dieselben, die den Menschen einen gerechten Mindestlohn vorenthalten wollen und denen die Lobbyisten aus der Wirtschaft und die eigene Karriere allemal wichtiger sind als ein konsequenter Klimaschutz. „Christliche“ Politiker befürworten Waffenexporte und schicken Soldaten nach Afghanistan und weit und breit kein Protestant, der auch nur vorsichtig erwähnen tut, dass Jesus Pazifist gewesen ist. Die Kirchen in der DDR waren vermutlich nur deshalb finanziell unabhängig vom Staat, weil sie vom Westen in erheblichem Umfang unterstützt wurden, der in erster Linie an der Schwächung des SED-Regimes interessiert war. Dass es den Kirchen und ihren Geldgebern – noch heute erhalten die Kirchen Milliarden an staatlichen Subventionen – offenbar mehr um machtpolitische Ziele als um die Verwirklichung der Lehre Jesu geht, lässt sich aus dem Verhalten unserer „christlichen“ Politiker ablesen. Eine folgenreiche Kritik der Kirchen haben diese kaum zu erwarten. RALF BÖHM, Berlin

■ betr.: „Randale sorgt für Krawall“, taz vom 6. 5. 09

Klonkrieger und „Randalierer“

Ich war mit dänischen Freunden am 30. April am Boxhagener Platz, am 1. Mai zuerst auf der „Mayday“-Demo, dann bei einem Teil der Kreuzberger 18-Uhr-Demo und auf dem „My“-Fest (Fuck all the Denglish!), und die Dänen waren erstaunt bis entsetzt über die martialische Bullenpräsenz allerorten – derartige Provokation ist bei ihnen zu Hause unbekannt, ebenso Prügeltrupps gegen „Seitentransparente“ und Vermummte. Vielleicht wäre die „erfahrene“ Berliner Polizei nicht so aufreizend aufgefahren, wie die Klonkrieger der „Bundespolizei“ oder die angereisten Chaoten von Provinzpolizisten, aber es ist sowieso lächerlich, dass die „linke Mehrheit“, ob Prekariat, Studenten, Freiberufler oder Institutionen-Marschierer, nur unter hautnaher Beobachtung von bewaffneten Kohorten, die stellenweise sogar in der Überzahl sind, „feiern“ darf und die Antwort auf diese Provokation einer unkoordinierten Minderheit überlässt. Auf die von Jahr zu Jahr kürzeren verbalen Bekenntnisse zur „sozialen Revolution“ folgt eine dröhnende Technoparade zu den Grill-, Bier- und Cocktailständen. Natürlich „nützt“ es nichts, ein oder zwei Bullenautos zu zerdeppern oder Sperrmüll anzuzünden, aber immerhin könnte man besser den Abzug der Besatzungsarmee von Bullen fordern, die solche banalen Aktionen provozieren, statt beifällig deren Einsätze gegen „Störer“ des „friedlichen Straßenfests“ zu beobachten. Wenn man sich „auf der Straße“ (statt im Görlitzer Park) trinkend und rumhopsend schon „linksradikal“ fühlt, braucht man trotzdem nicht im Einklang mit der bürgerlichen Presse Autonomen und „Randalierern“ jeglichen politischen Hintergrund abzusprechen. Wer sich nicht klammheimlich freut, dass, wenn schon nichts Sozialrevolutionäres, wenigstens irgendwas Unbotmäßiges passiert, braucht sich auch nicht über den DGB lustig zu machen, der einen Liedernachmittag mit Tombola veranstaltet, statt einen Generalstreik auszurufen. PETER STEBEL, Berlin