Sonnenblumen-öl im Getriebe der Welt

Da jetzt ja Europawahlkampf ist, sieht man überall Plakate der politischen Parteien hängen. Die SPD schießt sich schon mal mit aggressiver vergleichender Werbung warm: „Finanzhaie würden FDP wählen“, steht da zum Beispiel auf einem SPD-Plakat. Nun gut, was den Content-Managern in den Baracken von heute so alles einfällt. Die CDU setzt auf positive Wirtschaftsfotos, auch nicht überraschend. Ansonsten sieht man überall lächelnde Gesichter: Unser Mann/unsere Frau für Europa … Das Wahlkampfstandardplakatierungsprogramm halt.

Bei einem Plakat der Grünen kann man aber etwas länger hängen bleiben. Zähnräder, die ineinandergreifen, sieht man darauf. Ein Getriebe! Wer jemals einen linksliberalen Deutschlehrer hatte, dem fallen sofort Verse des Schriftstellers Günter Eich ein: „Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!“ Einer der ganz großen Verweigerungsslogans, den einst von der Grünen-Basis bis zum Kirchentag viele, viele Menschen herunterbeten konnten. Wobei das mit dem Sand aber nun überhaupt nicht mehr passen will. Eine stilisierte Sonnenblume sieht man auf dem Plakat. Sie ist nicht nur Teil des Getriebes der Welt. Mit ein bisschen Fantasie kann man sich auch ausmalen: Diese Sonnenblume treibt die anderen Zahnräder überhaupt erst an. „Wirtschaft & Umwelt“ steht dann auch unten auf dem Plakat geschrieben, hübsch miteinander verbunden. Statt gegen das Ganze zu sein, wirbt man nun damit, die besseren Rezepte zu haben. Wirtschaftskompetenz ist eben alles in diesem nun endgültig begonnen Finanzkrisenwahlkampf.

Bestimmt wird dieses Plakat schon bald in einem Museum stehen. Besser kann man den Mentalitätswandel im links-alternativen Bewusstsein kaum illustrieren. Von der fundamentalistischen Totalverweigerung bis zum grünen New Deal, der gerade auf dem Parteitag durchgewunken wurde, in einem Bild! Oder, um die Verse von Günter Eich zu variieren: „Seid erfinderisch, seid das Sonnenblumenöl im Getriebe der Welt!“ Mit Sand kommt man nicht mehr weiter, sagt das Plakat. Dass es wie geschmiert läuft, wollen inzwischen eben auch die Grünen. Nur mit welchem Schmierstoff, scheint die Frage. DIRK KNIPPHALS