Besorgnis erregende Sorglosigkeit

Die Zahl schwangerer Teenager in Berlin nimmt dramatisch zu. Doppelt so viele Abbrüche wie 1996. Und das, obwohl Verhütungsmittel kostenlos abgegeben werden

Immer mehr junge Mädchen werden in Berlin ungewollt schwanger. Dies geht aus den Zahlen des Statistischen Bundesamtes hervor. Auf Grundlage der vorliegenden Erhebungen für die ersten drei Quartale dieses Jahres wird – nach Hochrechnungen der Techniker Krankenkasse – davon ausgegangen, dass in diesem Jahr 1.400 Berliner Teenager abgetrieben haben. Das sind doppelt so viele wie 1996. Bundesweit stieg die Zahl der Abbrüche bei den unter Zwanzigjährigen um rund 50 Prozent, während sie, bezogen auf alle Altersgruppen, rückläufig ist.

Heike Weinert, die Pressesprecherin der Techniker Krankenkasse (TK), verweist in diesem Zusammenhang vor allem auch auf die Zunahme der ungewollt schwanger werdenden Teenager unter 15 Jahren, die mit fast 150 Prozent in den letzten acht Jahren den Berliner Durchschnitt noch übersteigt.

Die Fallzahlen hält die TK-Sprecherin deshalb für bedeutend, weil sie zunehmen, obwohl Verhütung kein Tabuthema mehr sei, obwohl es in den Schulen Aufklärungsunterricht gebe und obwohl die Krankenkassen die Pille kostenlos an junge Frauen bis 20 Jahren abgeben.

Erklärungen müssten daher im gesamtgesellschaftlichen Kontext gesucht werden, meint Weinert. Die jungen Berliner seien bei frühen sexuellen Erfahrungen wohl einfach risikobereiter als in anderen deutschen Gemeinden, vermutet die TK-Sprecherin: „Vielleicht ist das ein Großstadtphänomen.“ Dafür spricht, dass auch in Hamburg die Zunahme bei Jugendlichen bis 20 Jahren über dem Bundesdurchschnitt liegt.

Auf der Suche nach Erklärungen spricht Regina Kneiding, die Pressesprecherin der Gesundheitssenatorin Heidi Knaake-Werner (PDS), von der neuen Sorglosigkeit, die sich unter Jugendlichen breit mache. Beobachtet werde bereits seit längerem, dass das Einstiegsalter nicht nur beim Sexualverhalten, sondern auch bei Suchtverhalten, beim Rauchen und Trinken, sinke. Auch die Zahl der Neuinfektionen bei Aids nehme bei jungen Leuten wieder zu, wie das Robert-Koch-Institut bestätigt. Ebenso gebe es auch wieder einen Anstieg bei den Geschlechtskrankheiten. Die Benutzung von Kondomen aber sei rückläufig.

Die eigene Verantwortung werde zu sehr weggeschoben, meint Kneiding. Im Falle der sehr jungen schwanger gewordenen Mädchen sei es der Mangel an elterlicher Fürsorge. Ungewollte Schwangerschaften werden vor allem bei Teenagern aus schwierigen sozialen Verhältnissen und niedrigem Bildungsstand vermutet. Die Zunahme steht in einem gesellschaftlichen Kontext, bei dem auch die Auswirkungen der Medien eine Rolle spielen könnten. Deshalb dürfe sich die Politik insgesamt nicht zurücklehnen, betont die Pressesprecherin der Senatorin.

WALTRAUD SCHWAB