Die Nobelpreisschmiede wird zickig

Die Vereinigten Staaten sind attraktiv für die besten Studierenden der Welt. Hoch qualifizierte Ausländer stellen teilweise 40 Prozent der Doktoranden in den USA. Doch nun sinkt das Interesse am wissenschaftlichen Traumland – die High Potentials fühlen sich abgeschreckt. Die Uniszene schlägt Alarm

„Amerikas Spitzenposition in Wissenschaft und Hochschulen ist vorwiegend von Ausländern und Immigranten produziert“

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Amerika, der Magnet für Studenten und Wissenschaftler aus aller Welt war, verliert seine Anziehungskraft. Erstmals seit 32 Jahren ging die Zahl ausländischer Studenten zurück. Der Einbruch um 2,4 Prozent bei einer Gesamtzahl von 572.000 Studenten mag auf den ersten Blick nicht dramatisch erscheinen, doch im gelobten Land von Lehre und Forschung läuten Politiker und Professoren die Alarmglocken.

Aufgerüttelt hat das gesunkene Interesse in Asien, dem wichtigsten Rekrutierungskontinent für US-Hochschulen. Die Zahl von College-Studenten aus China sank um 20 Prozent, aus Indien um 9 und Japan um 14 Prozent, berichtet das „Institute of International Education“. Bei den Master-Studiengängen ist die Situation noch dramatischer: Bewerbungen aus China gingen um 45, aus Indien um 28 Prozent zurück.

Auch angehende deutsche Akademiker kehren den USA zunehmend den Rücken. 2003 studierten 9.300 Deutsche jenseits des Atlantik, 3 Prozent weniger als im Vorjahr. Im Vergleich zu 2001 sind es sogar 8 Prozent weniger.

Die Gründe für den Rückgang sind vielfältig: Die Einreisebestimmungen wurden nach dem 11. September verschärft. Neue Sicherheitsüberprüfungen schreiben zum Beispiel vor, dass Studenten für ein Bewerbungsinterview zu einer diplomatischen Vertretung im Herkunftsland reisen müssen – in Staaten wie China oder Indien ein kostspieliges und zeitaufwendiges Unterfangen.

Im Ausland hat sich zudem die Wahrnehmung verfestigt, in den USA nicht mehr willkommen zu sein. Überdies haben explodierende Studiengebühren sich im globalen Ausbildungswettbewerb zu einem handfesten Standortnachteil entwickelt. Für viele Studenten sind andere englischsprachige Länder wie Australien, Kanada, Neuseeland und natürlich Großbritannien mittlerweile attraktiver.

Aus Sorge, im internationalen Wettbewerb ins Hintertreffen zu geraten, machen Hochschulen nun Druck auf die Politik. C.D. Mote Jr., Präsident der University of Maryland, wurde jüngst beim Außenausschuss im US-Senat vorstellig und klagte, dass Doktoranden aus China, die bereits zugelassen waren, aus angeblichen Sicherheitsgründen keine Einreisegenehmigung erhielten. „Die sind für uns verloren und gehen woanders hin“, sagte er und warnte: „Solche Geschichten sprechen sich rasch herum und schädigen unseren Ruf.“

Die Hauptstadtregion gehört zu den Standorten in den USA mit der höchsten ausländischen Studentendichte, die den Imageverlust am deutlichsten zu spüren bekommt. An den neun hier angesiedelten Universitäten, darunter die renommierte Georgetown, George Washington und American University, sind heute 10 Prozent weniger ausländische Studierende eingeschrieben als im Jahr 2001, noch knapp 20.000. „Wir sind sehr besorgt über diesen Trend“, sagt Robert Pastor, Vizepräsident der American University, die einen Einbruch von 40 Prozent zu verkraften hat. „Früher haben wir im Nahen und Mittleren Osten geworben – heute in New Jersey.“

Studenten aus der Ferne sind begehrt, da sie einen entscheidenden Wirtschaftsfaktor für die Universitäten darstellen und Geld in deren Kassen spülen. Sie bezahlen die hohen Studiengebühren meist vollständig, während einheimische Studenten ihre Kosten über verschiedenste Stipendienprogramme subventionieren können. Außerdem bereichern sie mit ihrer anderen Perspektive Lehre und Forschung. „Gerade in unserer Post-9/11-Welt ist es notwendig, dass Amerikaner komplexe internationale Zusammenhänge verstehen lernen“, sagt Pastor.

Doch auch der umgedrehte Weg erscheint in einer Zeit weltweit antiamerikanischer Ressentiments wichtiger denn je. Stephen J. Trachtenberg, Präsident der George Washington University glaubt, dass Leben und Ausbildung an US-Hochschulen vielleicht der effektivste Weg seien, westliche Werte und Ideen zu verbreiten. „Ausländische Studenten zählen später oft zur Führungselite in ihren Herkunftsländern. Sie besitzen Verständnis für die US-Gesellschaft und vermitteln ein positives Amerika-Bild.“ Die USA liefen Gefahr, diesen Einfluss zu verspielen.

Das neue Desinteresse macht insgesamt den Natur- und technischen Wissenschaften am ärgsten zu schaffen. Studenten aus Übersee fragen diese Fachgebiete besonders nach. Viele von ihnen bleiben nach Abschluss in den USA, leiten Forschungsprojekte in Unternehmen und Hochschulinstituten. Sie füllen damit eine Lücke, die von Amerikanern hinterlassen wird, die keine Ingenieure, Chemiker oder Physiker mehr werden wollen. 38 Prozent aller Doktoranden in den USA stammen nach Angaben des „National Science Board“ in diesen Wissenschaftssparten aus dem Ausland. „Die unangenehme Wahrheit über Amerikas Spitzenposition in diesem Bereich ist, dass sie vorwiegend von Ausländern und Immigranten produziert ist“, schreibt Kolumnist Fareed Zakaria, ein gebürtiger Inder, in der Washington Post. So rangieren die USA beim Anteil der College-Studenten, die einen Abschluss in Natur- und Ingenieurswissenschaften machen wollen, weltweit nur noch auf Platz siebzehn. 1975 lagen sie noch auf Platz drei.

Ob der Trend nur temporärer Natur ist oder eine Wachablösung im internationalen Akademikeraustausch ankündigt, ist sicher zu früh zu sagen. Experten bezweifeln jedoch, dass sie sich aufgrund der veränderten Koordinaten in den USA kurzfristig umkehren lässt. Die ersten Zahlen für das laufende Studienjahr sind nicht ermutigend. Eine Umfrage des „Council of Graduate Schools“ fand heraus, dass Bewerbungen von ausländischen Studenten dieses Jahr um 28 Prozent eingebrochen sind.