GROSSBRITANNIEN: PERSONALAUSWEIS GEGEN SELBSTMORDATTENTAT
: Größerer Staat, kleinere Bürger

Früher waren die Briten einmal stolz darauf, dass kein Polizist das Recht hatte, einen Identitätsnachweis zu verlangen. Heutzutage rührt sich kaum Widerstand, wenn Personalausweise mit biometrischen Daten eingeführt werden. 80 Prozent der Briten sind dafür, jedenfalls Umfragen zufolge.

Es war das Lieblingsprojekt von David Blunkett, der letzte Woche als Innenminister zurücktreten musste, weil er dem Kindermädchen seiner Geliebten ein Visum beschafft hatte. Blunkett hat die Angst vor Terrorismus geschürt und die Personalausweise als Heilmittel gepriesen. Die Hoffnung, dass sein Nachfolger Charles Clarke einen kühleren Kopf behält, war trügerisch; die Argumente blieben gleich. Aber die Pflicht zum Mitführen von Personalausweisen hat nirgends Al-Qaida-Aktivitäten verhindert. Und fast jeder Brite trägt irgendwelche Ausweise bei sich: Führerscheine, Kreditkarten, Sozialversicherungsausweise, Reisepässe.

Warum also Personalausweise? Es geht nicht darum, dass sich die Bürger ausweisen können, sondern dass die Regierung sie identifizieren kann. Clarke versprach, die Regierung werde mit den Informationen verantwortungsbewusst umgehen. Doch es gibt keinen Grund, ihm zu glauben. Das Irak-Dossier, das gefälscht wurde, um Unterhaus und Bevölkerung auf den Krieg einzustimmen, hat hinlänglich bewiesen, wie diese Regierung mit Informationen umgeht. Außerdem muss es misstrauisch machen, dass Clarke das Gutachten über die Vereinbarkeit der Ausweise mit den Menschenrechten unter Verschluss hält. Und: An seinem ersten Arbeitstag vorige Woche urteilte das höchste Gericht, dass Internierung ohne Anklage – ein weiterer Eckpfeiler in Blunketts Anti-Terrorismus-Strategie – gegen die Menschenrechte verstößt.

1939 hatte die britische Regierung schon einmal Personalausweise eingeführt. 1951 zog der Inhaber einer chemischen Reinigung dagegen vor Gericht und gewann. Es ist zu hoffen, dass auch diesmal jemand klagt. Das Recht auf Anonymität, auf Umzug ohne Meldepflicht, ist in westlichen Ländern selten geworden. Es wäre schade, wenn die Briten es kampflos aufgäben. RALF SOTSCHECK