Der doppelt Verfolgte

HOLOCAUST-OPER Die Bremer Inszenierung von Peter Ruzickas Oper „Celan“ ist ein höchst heterogenes Theaterereignis, das seine Wucht vor allem aus dem Willen zur Konfrontation bezieht

In diesem Willen, nicht auszuweichen, liegt die Wucht begründet, die die Oper fraglos besitzt

Am Schluss ist das Kind mit den Büchern allein. Das Bild soll tröstlich wirken, zärtlich streichelt der Knabe über die dicken Lederrücken – doch in der Literatur, im Schreiben liegt in „Celan“ keineswegs die Rettung. Im Gegenteil: Im echten Leben wie in Peter Ruzickas Oper zerbricht der jüdische Dichter nicht zuletzt an seinem Werk. Den Vorwurf, ein Plagiator zu sein, empfand Paul Celan wie eine zweite Verfolgung – der er sich durch Selbsttötung entzog.

Die Bremer „Celan“-Inszenierung arbeitet mit mäandernden Bildern. Doch „Schlüssigkeit“ ist ohnehin ein obsoleter Begriff sowohl für die Komposition als auch für die sehr konventionelle Regiearbeit von Vera Nemirova – die auch darin der Komposition entspricht, die ebenso gut vor 40 Jahren hätte entstanden sein können.

Das an sich muss kein Manko sein: Sirrend in die Länge gezogene Obertöne, zischende Flageolettes durchziehen die ansonsten eher kleinteiligen Klangcluster und fragmentarisierten akustischen Ausbrüche der Protagonisten. Das hat durchaus Wirkung, doch will die Musik mitunter allzu illustrativ sein: Etwa in Gestalt jener seltsamen Fanfare, die auch ein Wagenrennen eröffnen könnte, mit der Ruzicka jedoch die Kernszene seiner Oper einleitet: den Tod in der Gaskammer. Die Bühne füllt sich mit langsam voranschreitenden Gestalten, sie ziehen sich aus, sie rufen das Himmlische Jerusalem an, sie entkleiden sich weiter. Konkreter kann man die Shoa auf einer Bühne kaum zeigen. Unerbittliche 20 Minuten lang beobachtet man das Hinsinken jedes einzelnen der nackten Körper.

In diesem Willen, nicht auszuweichen, liegt jener Rest von Wucht begründet, den die Oper fraglos besitzt. Auch die guten Darsteller tragen dazu bei. Insbesondere der kurzfristig als Gast engagierte Tomas Möwes erweist sich als hervorragender Improvisator, der seine von der Partitur zumeist zu anderen Zeitpunkten vorgesehenen Einsätze mit beeindruckender Sicherheit füllt, Präzision also durch Präsenz ersetzt. Als „Ober“ ist Möwes so etwas wie der Gegenspieler der beiden Celane, die ihre innere Zerrissenheit in eruptiven Duetten zum Ausdruck bringen. Der „Ober“ serviert ihnen seine Vorwürfe – Fälscher zu sein, überhaupt „schuldig“ zu sein – immer dann, wenn sie sich mal auf der sicheren Seite wähnen, etwa in den Armen einer Frau.

So aber kommt es zum selbst gewählten Ende im Fluss. Zurück bleiben viele Bücher und ein Sohn, der in Rückblenden schon als Kindgestalt seines Vaters zu sehen war. Zurück bleibt auch ein Publikum, dem manche Regie-Idee wie ein Amok-Intermezzo vor dem Vorhang erschienen sein mag, das aber auch sich selbst gesehen hat: Zu den gelungenen Anteilen dieses heterogenen Theaterereignisses gehört ein Film, in dem Bremer Passanten ihre Gedanken zum Holocaust wiedergeben. Vom Sprung in die Seine hätten ihre Äußerungen Celan sicher nicht abgehalten. HENNING BLEYL

nächste Termine: 21., 24., 27. und 31. 5., Schauspielhaus Bremen