Teure Raketen für Amerika

Das neueste Rüstungsprojekt der Bundeswehr ist von zweifelhaftem Nutzen.Es passt allerdings in die Militärstrategie der Vereinigten Staaten unter George Bush

BERLIN taz ■ Die Rüstungspläne der Luftwaffe stoßen bei Experten auf scharfe Kritik. Auch innerhalb der rot-grünen Regierungskoalition ist das Raketenprojekt „Medium Extended Air Defense System“ (MEADS) umstritten. Gemeinsam mit den USA und Italien will die Luftwaffe ein neues Raketenabwehrsystem entwickeln, das ab 2012 einsatzbereit sein soll. Im Parlament gibt es bisher nur wenig Widerstand. Der Haushaltsausschuss muss im Januar über die Beteiligung entscheiden. Der Rüstungsexperte Bernd Kubbig kritisiert das Projekt scharf: „Ich sehe für das System wenig Bedarf“, sagte der Wissenschaftler gestern in Berlin. In einem Gutachten der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung argumentiert Kubbig, die Beschlussvorlagen von Bundestag und Verteidigungsministerium seien „inkonsistent und widersprüchlich“.

Bei dem Projekt geht es um die Weiterentwicklung des Patriot-Abwehrsystems, das in Israel während des zweiten Golfkriegs eingesetzt wurde, um irakische Raketen abzufangen. Die kleinen MEADS-Raketen sollen Flugzeuge und Marschflugkörper im Umkreis vom 1.000 Kilometern in der Luft abfangen können.

Der Verteidigungsausschuss des Bundestags hat einen Bericht zu dem Projekt bereits am 10. November durchgewunken. Im Januar muss der Haushaltsausschuss entscheiden, ob die Raketen ihr Geld wert sind. Der Bundesrechnungshof hat daran ernsthafte Zweifel. Die Rechnungsprüfer hatten den Abgeordneten geraten, zunächst die gesamten Kosten für die neuen Raketen abzuschätzen. Bisher steht in der Vorlage des Parlaments nur der deutsche Anteil an den Entwicklungskosten, der 995 Millionen Euro betragen soll. Was dagegen in der Kalkulation fehlt, sind die Kosten für die Anschaffung der Raketen und Abschussrampen in acht Jahren. Kubbig rechnet damit, dass dann 10 bis 12 Milliarden Euro fällig sein werden, für 12 bis 24 der neuen Abwehrsysteme.

„Als Vorsorge gegen ein schmales Risikospektrum ist das System ausnehmend teuer“, sagt auch Winfried Nachtwei, sicherheitspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Er hält das Projekt auch militärisch für zweifelhaft.

Laut Vorlage des Verteidigungsministeriums sollen die neuen Raketen zur Landesverteidigung, zum Schutz von Bundeswehrsoldaten bei Auslandseinsätzen und zur Terrorabwehr eingesetzt werden. Für all diese Aufgaben sei das System aber wenig geeignet, sagt Kubbig. Denn innerhalb der Reichweite der Abwehrraketen ist Deutschland von stabilen befreundeten Staaten umgeben; um Soldaten zu schützen seien die bis zu 4,5 Millionen Euro teuren Geschosse zu teuer und auch die Kreativität von Terroristen würden die Militärs mit ihren Plänen unterschätzen.

„Offenbar hat das Vorhaben vor allem transatlantische und industriepolitische Gründe“, sagt Nachtwei. Die Abfangraketen seinen als Teil des Raketenschirms zu verstehen, den die US-Regierung über Nordamerika und Europa errichten will. Am Firmenkonsortium, von dem das System entwickelt wird, ist auch der europäische Rüstungskonzern EADS beteiligt. „Die Abgeordneten der Union verhalten sich als Lobbyisten des Projekts“, kritisiert Nachtwei seine Ausschusskollegen. Dabei könnten industriepolitische Hoffnungen enttäuscht werden: Das Know-how würden die Amerikaner für sich behalten, schreibt Militärexperte Kubbig. Das sei im Vertrag zwischen Deutschland, Italien und den USA so vorgesehen.

DANIEL ZWICK