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grazil: salut salon im st. pauli theaterHummelflug durch den Salon

Vergessen Sie ihre erste Assoziation! Das Hamburger Quartett Salut Salon ist, auch wenn es der Name suggeriert, kein Salon-Ensemble im klassischen Sinne. Denn wenn die vier Musikerinnen im Biene-Maja-Kostüm den „Hummelflug“ präsentieren, Gassenhauer wie „Mein Hut, der hat drei Ecken“ schmettern, zu dritt auf dem Cello spielen oder achthändig am Flügel die Variation eines Paganini-Themas intonieren, dabei vor-, neben- und hintereinander kriechen und sich die Plätze streitig machen, hat das mit gediegener Salonmusik wenig gemein.

Ausgefallene Kostüme und akrobatische Instrumentenbearbeitung sind aber nur der eine, wenngleich auch offensichtliche Unterschied zu anderen Salonensembles: Die Tradition der klassischen Salonmusik dient dem Hamburger Quartett Salut Salon lediglich als roter Faden. Was gemeinhin unter dem Genrebegriff Salonmusik verstanden und vorgetragen wird, präsentieren Angelika Bachmann (Geige), Gesa Riedel (Cello), Iris Siegfried (Gesang, Geige) und Christine Schütze (Klavier) in eigenen, aktuellen Arrangements, eingebunden in ironischen Witz und originelles Entertainment.

Zu hören und sehen ist das Samstag, dem ersten Weihnachtsfeiertag, im St. Pauli Theater. Die Zuschauer erwarten klassische Konzert- und Salonstücke von Brahms und Liszt, Hollaender-Chansons in eigenen Arrangements, Walzer, Märsche, musikalische Potpourris und, dem Datum gemäß, Nikolauskostüme und künstlicher Schnee.

Über die Stadtgrenzen hinaus haben sich Salut Salon längst einen Namen gemacht, und Kritiker schwärmen in den höchsten Tönen von den „vier Grazien“, den „intellektuellen Glamour-Girls“, die „frech, virtuos und charmant“ ihr Programm präsentieren, das „vor Esprit nur so sprüht“. Trotzdem oder vielleicht auch gerade deshalb stellt sich die Frage, was Show, was natürlich ist. Ist der Auftritt das Ergebnis monatelanger Proben an Gags und Show-Elementen, die auf Knopfdruck ins Publikum abgefeuert werden? Wer sind diese „Grazien“?

Richtig ist: Seit rund einem Jahr unterstützt der Regisseur Ralph Misske die Musikerinnen bei ihrer Choreographie. Schauspiel, so die vier Künstlerinnen, habe ja keine studiert. Und Misske sei der Einzige, der mit ihnen umgehen könne. „Mit anderen Regisseuren waren wir eine Katastrophe“, berichtet Iris Siegfried. „Er dagegen nimmt uns so, wie wir sind.“

Und die Musikerinnen sind, das zeigt ein Gespräch abseits der Bühne recht schnell, authentisch. Und unverwechselbar. Die Choreographie erscheint als bloßes Gerüst, das den Musikerinnen auf der Bühne als Rahmen dienen soll. Bild und Melodie vom achthändig vorgetragenen Musikstück drängen sich auf, wenn alle zugleich reden, eine die andere ergänzt oder ihr ins Wort fällt, der Tonfall selbst aber ebenso wie die Paganini-Melodie stets harmonisch bleibt.

Fast selbstverständlich erscheint es da, dass die Gründung von Salut Salon nicht auf einen lang gehegten, ausgetüftelten Plan zurückgeht. Der Startschuss, weitaus simpler und alltäglicher, fiel aus einer Weinlaune heraus. „Deshalb macht es uns wohl auch nach vier Jahren noch Spaß“, sagt Gesa Riedel. Die virtuos vorgetragene Technik kommt dabei nicht von ungefähr: Alle vier Musikerinnen absolvierten eine klassische Ausbildung, gewannen jede mehrere Wettbewerbe, arbeiteten national wie international als Solistinnen und waren Mitglieder der Popband Orange Blue. Ohne Promotion und große Plattenfirma im Rücken gelang es ihnen als Salut Salon nur durch Mund-zu-Mund-Propaganda, die Hamburger Musikhalle zu füllen. Auftritte vor dem Bundeskanzler im Curio Haus anlässlich einer Preisverleihung und im Fernsehen folgten. Angesichts dessen war es nur eine Frage der Zeit, bis die Plattenindustrie anklopfte: 2003 erschien die erste CD Was kann das Herz dafür.

Hauptberuflich haben sich die Künstlerinnen mittlerweile Salut Salon verschrieben, nebenbei hat sich jede ein zweites Standbein aufgebaut: Iris Siegfried hat Kulturmanagement studiert und arbeitet inzwischen als Rechtsanwältin, Gesa Riedel unterrichtet Cello an der Hochschule für Theater und Musik in Rostock, Angelika Bachmann ist studierte Germanistin und Philosophin, Christine Schütze dagegen seit ihrem Klavierstudium in Hamburg und Lübeck als Solistin unterwegs. Sie ist schon bei mehreren internationalen Musikfestivals aufgetreten. Die Konsequenz: „Kein Schlaf, keine sozialen Kontakte“, sagt Angelika Bachmann. Auf ihre Energie haben Stress und chronischer Zeitmangel bislang zum Glückkeine Auswirkungen. Christine Schams

Sa, 20 Uhr, St. Pauli Theater

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