Oh du seliger Fratz!

Eltern lassen sich zunehmend von Fernseh-Erzieherinnen beraten. Wie nützlich aber sind die Tipps? Weihnachten ist die beste Gelegenheit, sie zu testen. Denn selten knallt es heftiger in den Familien

VON NATALIE TENBERG

Beim Happy End des Films „Kleiner Lord“ wird einem warm ums Herz: Die vorher zerstrittene Mikrofamilie sitzt versöhnt zusammen und feiert das Fest der Liebe. Auch Aschenbrödel darf letztendlich mit ihrem Prinzen durch den Schnee reiten. Um als Sieger aus der Familiensituation herauszugehen, müssen die Charaktere nichts anderes tun, als den ganzen Film lang moralisch unantastbar zu bleiben. So einfach ist das für die Protagonisten der neuen Pädagogikformate im Fernsehen nicht.

Sie rackern sich auf dem Weg zu einer glücklichen Familie vor dem wachen Auge der Zuschauer bis zur Erschöpfung ab. Sie präsentieren den Erziehern nicht nur die eigene Brut, sondern stehen auch selbst unter Beobachtung. An Weihnachten eskaliert dann landauf, landab die Familiensituation, denn dem Zwang zum rituellen Feiern entziehen sich nur wenige. Was vom Weihnachtsfest übrig bleibt, ist das ständig wiederkehrende Ritual, im positiven wie im negativen Sinne.

Niedliche Heimsuchung

Der phänomenale Erfolg der neu aufkommenden Pädagogikprogramme zeigt, dass ein reges Interesse an Erziehungsfragen herrscht. Dabei geben Kinder ein Rätsel auf. Sie sind keine großäugigen Engel und unschuldige Wesen, mögen sie noch so rosa gekleidet sein. Sie sind eine Heimsuchung, die selbst den Frieden unter dem Weihnachtsbaum empfindlich stören, sobald sie laufen, sprechen und fordern können. Dann verwandeln sie sich in Miniterroristen, die nichts anderes wollen, als vor dem Fernseher zu liegen und gelegentlich den Hund zu schlagen. Mit solchen Leuten, und seien sie noch so niedlich, möchte man kein Weihnachten feiern.

Dann lieber allein. Doch so einfach ist es leider nicht. Die Ursachen für den Erfolg der Pädagogikformate liegen tiefer. Der Kinderwunsch ist allen politischen und wirtschaftlichen Widrigkeiten zum Trotz, dem Menschen eigen. Irgendwann im Laufe der Auseinandersetzung mit der eigenen Identität beschäftigt man sich mit der Nachwuchsfrage – und fragt sich selbst, ob man zur Erziehung geeignet ist. Eben darin liegt der Erfolg von Formaten wie der „Super-Nanny“: Eigentlich erzogen werden die Eltern. Hier offenbart sich die dysfunktionale Familie.

Kein Wunder also, dass bei dem allgemeinem Druck, eine „glückliche Familie“ zu sein, die Lage zu Weihnachten eskaliert. Wenn eine Familie das ganze Jahr lang Konflikte mit sich herumträgt, dann ist der Streit zu Heiligabend nur der Höhepunkt. Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist dabei ein Problem, das selbst die Super-TV-Pädagoginnen nicht lösen können – weder Katharina Saalfrank, die RTL-Exorzistin, und ihre Nachfolgerin Nadja Lydsann noch die vielen anderen Erzieherinnen, die nun auf Pro 7 und Vox den Kindern zu Leibe rücken. Es wird ein Erziehungsideal vorgegaukelt, bei dem Fehler nicht vorkommen. Was folgt, wenn Ratschläge wie „den Kindern klare Regeln vorgeben“ nicht ausreichen? Was folgt, wenn softe Strafen wie rote Karten nicht greifen? Gleichzeitig wächst der Anspruch an Eltern mit der Anzahl der Formate.

Deutlich wird bei dieser Flut an Pädagogiksendungen jedoch eines: Der Struwwelpeter als erzieherisches Leitbild hat endlich ausgedient. Zum Glück. Statt aggressiver Macht gilt softe Autorität als Richtlinie. Vielleicht ist Heiligabend sogar ein guter Zeitpunkt, um die Erziehungsmethoden der TV-Nannys auszuprobieren.

Festliche Bewährung

Der traditionelle und rituelle Ablauf des Abends lädt dazu ein, klare Regeln für den Ablauf des Festes vorzugeben: Geschenke gibt es erst nach dem Essen, bei dem jeder auf seinem Platz sitzen zu bleiben hat. Wer zu viel zappelt, dem wird nicht völlig unrealistisch angedroht, dass er seine Geschenke nicht bekommt. Nach dem Essen muss ein Weihnachtslied gesungen werden, wobei es hilft, wenn die Eltern den Text auch noch zusammenkriegen. Erst danach gibt es Geschenke, und die sind auch nicht den Geschwistern gleich aus der Hand zu reißen. Nach einem harmonischen Zusammensitzen müssen die Kinder ins Bett, damit die Eltern auch noch etwas Zeit für einander haben.

Ein großer Unruhefaktor zu Weihnachten sind aber nicht nur die Kinder, sondern die nicht weniger aufmüpfigen Schwiegereltern, Eltern oder Großeltern selbst. Sie bergen bei vielen Familien zusätzlichen Konfliktstoff. Empfindliche Eltern fühlen sich von Kindern und Großeltern in die Zange genommen, die Kritik kommt plötzlich von zwei Seiten. Aber angesichts des Erfolgs der TV-Erziehungsmethoden können die kurzen, klaren Regeln im Folgejahr auch auf die erweiterte Verwandtschaft angewendet werden.