Gegen Hartz sind sogar Engel machtlos

Keine Herberge, keine Heimat, keine Arbeit – Maria, Josef und das Jesuskind wären in Köln wohl im Container gelandet. Die Weihnachtsgeschichte rührt die Menschen auch heute noch an, weil sie die Sichtweise der kleinen Leute wiedergibt

Von Franz Meurer

Weihnachten haben wir es mit einer Problemfamilie zu tun. Obwohl hochschwanger, begleitet Maria ihren Mann auf der Reise zur Volkszählung. Ohne rechte Einsicht in die notwendige Daseinsfürsorge: Für ein Hotel fehlt das Geld. Das Kind kommt in einem Stall zur Welt und liegt in der berühmten Futterkrippe. Trotz tatkräftiger Hilfe der Hirtenleute verschlimmert sich die Lage – das Ehepaar muss fliehen und in Ägypten Asyl beantragen. Vater Josef begreift, dass die Familie seit der Geburt des Sohnes zu den politisch Verfolgten zählt.

Gerade hatte sich Josef eine kleine Ich-AG in Nazareth aufgebaut. Nun kann er nicht einmal in die Schreinerei zurück, um die wichtigsten Werkzeuge auf die Flucht mitzunehmen. Überhaupt scheint es eine loser-family zu sein, zu der man besser Abstand hält. „Meide den Kontakt mit Verlierern, das macht dich selber schwach“, wird der Satz einer Body-Building-Meisterin aus den USA überliefert.

Ohne unsichtbare Hand hätte bei den biblischen Flüchtlingen gar nichts geklappt. Sieben Mal intervenieren die Engel. Vor der Geburt sieht es so aus, als würde Maria allein erziehende Mutter. Da er sich nicht als Vater sieht, will Josef zwar auf die mögliche Steinigung der Ehebrecherin verzichten, will sich aber von ihr trennen. Der Engel kann ihn umstimmen. Auch Maria begreift erst durch den Engel Gabriel, was auf sie zukommt.

Auf ihrem Leitbildprozess folgen die drei Weisen ihrem Stern. Kein statischer Leuchtturm zieht sie an, sondern sie entwickeln eine Vorstellung als „Anhänger des Weges“ (Paulus). Eine böse Falle tut sich auf, als sie im Traum dem lokalen Machthaber begegnen. Die Engel können sie bewegen, nicht zu Herodes zurückzukehren. In Wut und Raserei entschließt sich dieser zum Massenmord.

Die Weihnachtsgeschichte rührt die Menschen bis heute an, weil sie sich aus der Sicht der kleinen Leute entwickelt: keine Herberge, keine Heimat, kein Schutz, keine Arbeit. Die Geschichte ist politisch, weil sie in Menschen guten Willens die Frage befördert, was notwendig ist, damit ein Kind gut leben kann.

Bei Kindern sind unsere Instinkte noch in Ordnung. Fast jede und jeder möchte, dass sie eine Chance bekommen zu einem guten Leben. Was braucht die junge Familie? „Ohne Ort kein Glück“ (Peter Handke). Doch Maria, Josef und das Jesuskind haben keinen Ort. Kommen sie als Asylsuchende in ein Containerlager? Dürfen sie dort selber kochen. Oder gibt es Sammelverpflegung? Stürzt sich Josef gar in den Suff, um seine Unfähigkeit, dem Kind eine Zukunft zu öffnen, zu betäuben? Begegnet die Familie weiterhin Menschen, die sich anrühren lassen, vielleicht auf Vermittlung eines Engels, wie die Hirten und die drei Weisen? Hans Magnus Enzensberger sagt: „Selbst in reichen Gesellschaften kann morgen jeder von uns überflüssig werden. Wohin mit ihm?“

„Der Mensch ist zur Arbeit geboren, wie der Vogel zum Flug“ (Papst Pius XII). Finden Maria und Josef in Ägypten Arbeit? Ohne Arbeit keine Heimat. Ohne Arbeit keine Würde. Aus Sicht der Christlichen Soziallehre ist Arbeit nicht nur ein Grundrecht, sondern ein Grundwert. Können die Eltern ihr Kind mit dem Ertrag der eigenen Hände Arbeit großziehen? Peter Hartz antwortet auf die Frage nach dem Grund für Massenarbeitslosigkeit: „Die unglaubliche Gleichgültigkeit der Gesellschaft diesem Problem gegenüber.“

Es sind Grundfragen des Zusammenlebens, die Weihnachten in den Blick kommen. Nicht immer weisen die Engel die Wege zur Problemlösung.

Der Autor arbeitet als Pfarrer in Höhenberg-Vingst und engagiert sich unter anderem für Arbeitslose. Er ist erster alternativer Ehrenbürger der Stadt Köln.