On the Road. Ein Wintermärchen

Eine teuflische Schlittenfahrt

VON CENK BEKDEMIR

„Wo willst du hin?“

„Weiter.“

„Na gut, du weißt ja, wo ich hinwill. Steig ein.“

Er treibt ein paar Wolkenfetzen mit der Peitsche auseinander und lässt den Schlitten weiter auf die Erde zugleiten.

„Was machst du hier?“

„Ach, ich hab gewartet. Endlich nimmt mich einer mit. Ist kalt hier.“

„Eine einsame Strecke. Hab hier nie eine Seele stehen sehen. Wo kommst du her?“

„Och“, er fängt an zu hüsteln, „von hier, von da. Schön ist’s hier. Guter Ausblick.“

„Ja, das liebe ich an meinem Job. Ist wunderschön.“

Der Schlitten taucht in die regelmäßig ausgeschnauften Dunstwolken der Rentiere.

Vier Augen folgen dem Weg, berühren Sterne. Ein Weg voller Wünsche, Raum für Neugierde. Auch im Schlitten tauchen Fragen auf. Wo der wohl herkommt? Was der hier macht? Die Fragen treiben den vollbärtigen Kopf zum Mitfahrer. Die Barthaare streicheln dessen Nase. Ein lautes Niesen. Das Gesicht verschwindet in einem großen Taschentuch.

„Gesundheit!“, rutscht es dem alten Mann über die Zunge. Eilig schiebt er nach: „Wo, Mann, wo kommst du her?“ Das Taschentuch beschäftigt wahrscheinlich auch die Ohren. Keine Antwort. Das Schnaufen der Rentiere erinnert an eine alte Dampflok. Die Glöckchen am Schlitten spielen einen langgezogenen Tusch. Das Tuch verschwindet wieder.

O. k., ich sag’s ihm jetzt, „also“, fängt er an, „ich hab da was zu erledigen. Ich …“ , plötzlich beugt er seinen Kopf seitlich über den Schlitten, „oh, schau mal“, seine Stimme fängt an zu tanzen, „die Lichter der Städte! Endlich! Wie schön! Und schau mal. Sieht aus wie Puderzucker. Und die Kinder. Ist das Leuchten in ihren Augen zu dieser Zeit nicht besonders schön? Also, ich bin der Teufel und dachte, wir könnten heute zusammen …“

„Was?!“, ein Aufschrei unterbricht ihn. Vor Schreck fallen dem alten Mann fast die Zügel aus der Hand, doch schafft er es trotzdem, den voll beladenen Schlitten zu stoppen.

„Jesus Maria! Du? Hier? Runter vom Schlitten, du Ausgeburt der Hölle!“

„Na, na, na, jetzt, wo wir doch eh gleich da sind.“

„Du glaubst doch wohl nicht, dass ich dich mit auf die Erde nehme!?“

„Ich? Ich glaube prinzipiell nicht! Aber dann bringst du diesmal halt zweierlei mit auf Erden, etwas Gutes und … mich!“

„Eher bleib ich hier stehen oder kehr wieder um!“

„Du willst also einfach nicht kommen? Die ganzen Kinder enttäuschen? Ihnen den Glauben nehmen? Nein, nein … das ist mein Job!“

„Oh du … du Teufel!“ Tja, was sollte der Weihnachtsmann nur machen? Würde er umkehren, so würde er tatsächlich die Kinder der Erde enttäuschen. Würde er aber den Teufel mit auf Erden nehmen, er, der Weihnachtsmann, würde er Schlechtes, den Teufel in Person bringen. Eine schwierige Entscheidung, in der Tat. Nein, er konnte die Kinder einfach nicht enttäuschen. Das wusste auch der Teufel. „Sag mir, Teufel, wie kommst du hierher?“

„Das ist nicht wichtig, aber auch nicht so schwierig, oh Weißbart“, das Gelächter wird vom Dunkel der Nacht verschluckt, um auf der Erde Gewitter zu spielen. Wütend und enttäuscht zugleich treibt der Weihnachtsmann seinen Schlitten wieder an und prescht weiter auf die Erde zu.

In dieser dunklen und kalten Nacht schleicht ein etwas blasser Weihnachtsmann durch die Straßen. Es heißt später, dies wäre deswegen aufgefallen, weil ein unförmiger Schatten hinter ihm herzuhuschen schien. Aber das wurde schnell vergessen, weil der Weihnachtsmann auch diesmal für alle etwas dabeihatte.