: Zwei Bilder zum Nachdenken
Friedrich Christian Flick möchte Martin Kippenberger werden. Doch diese feindliche Übernahme sei ihm nicht gestattet. Denn was bei jenem Kritik war, soll bei Flick zur Abwehr von Kritik werden
VON DIEDRICH DIEDERICHSEN
Welche Aussage möchte der Sammler Flick machen, indem er mit seiner Sammlung und seinem Geld öffentlich so umgeht, wie er damit umgeht? Antwort: Er möchte mit sich, seiner Geschichte und deren Belastungen so umgehen, wie Martin Kippenberger mit prätentiösen und ambitionierten Redeweisen umgegangen ist.
Er verkennt dabei den entscheidenden Unterschied zwischen sich und Kippenberger. Kippenberger nimmt die Position des Kritikers und Spötters der hochtrabenden Rede ein: Dabei ist seine Position die eines Mitredenden, der den Stil der Rede der anderen – ihre leere Rhetorik, ihre verbrauchten künstlerischen Mittel etc. – attackiert. Flick kann sich diesen Gestus nicht leisten, denn er ist kein Mitredender, sondern selbst Gegenstand der Rede, über die er sich lustig machen möchte, als wäre er zugleich sein Künstler, sein wohlwollender Kritiker und eben Flick.
Wie komme ich darauf? Nun, die Position des Sammlers und der anderen Beteiligten an der Inszenierung der Flick-Collection zu den Exponaten und deren Inhalten ergibt sich aus dem Verhalten auf so genannten photo opportunities. Dabei entsteht so etwas wie ein metonymisches Verhältnis zwischen den abgebildeten Personen und den Kunstwerken, vor und neben denen sie stehen. Flick sah man sehr oft vor der achtteiligen Kippenberger-Arbeit „Acht Bilder zum Nachdenken, ob es so weitergehen kann“. Eine Arbeit, die sich über Nachdenklichkeit, Betroffenheitsposen, über die Massenkultur wie über deren Kritik durch sozialdemokratische Bedenkenträger in gleicher Weise amüsiert. Diese Position möchte, das kann man an den vielen photo opportunities rund um diese Arbeit erkennen, Flick auf sich übergehen lassen: die herrliche Bedenkenlosigkeit, mit der man all diejenigen beiseite wischt, die blöde bedächtige Einwände vorbringen.
Diese Leihgabe sei ihm nicht gestattet. Denn sein Motiv ist ein grundsätzlich anderes als Kippenbergers: Bei diesem ging es gegen die ideologische Bedächtigkeit, die an der Drastik der Konsumkultur abglitscht. Bei Flick geht es um die Identifikation dieser ideologischen Bedächtigkeit mit den Bedenken, die gegen ihn vorgebracht werden. Er leiht sich die Kraft einer Verschärfung und Zuspitzung, die genealogisch aus einer radikalen Kritik an zu bedächtiger Kritik kommt, um sie gegen Kritik an sich zu wenden.
Dabei dreht er eine entscheidende Geste von Kippenberger um: Auffälliges Zentrum von dessen acht Bildern ist das Porträt eines obszönen wie komisch autoritären und triumphal sexuellen Eises am Stil, das damals Langnese herausbrachte, den so genannten Flutschfinger. Kippenberger liebte solche Grotesken der Massenkultur: Er benutzte sie auch, um zu zeigen, dass die Massenkultur ihre zahm-bedenklichen Kritiker längst an Frechheit übertroffen hatte. Diese Frechheit wird von Kippenberger genutzt, um die Nachdenklichkeit auf die Dringlichkeit hinzuweisen, etwas schneller deutlicher zu werden. Hier verschmelzen all die erhitzten rhetorischen Gemeinplätze erhobener Zeigefinger, Stinkefinger, Fistfuck und geballter Faust zu einer Monstrosität, einem Monument auch für die Dürftigkeit und Vergeblichkeit der Frechheit – Flick hat erkennbar nur Freude am Dummfrechen an und für sich.
Deutlicher und obszöner wird das an der Zentralität, die in der Ausstellung dem Kippenberger-Bild „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz erkennen“ zukommt. Dieses Bild zeigt, was einer sieht, der die Hakenkreuze, die in Deutschland überall rumstehen, nicht sehen will. Er sieht dann nur noch Formen, die knapp am Hakenkreuz vorbeischrammen. Der revisionistische Wunsch versucht, die Signifikanten zu verbiegen, so weit es geht, um das Signifikat (Faschismus) leugnen oder verdrängen zu können. Doch der materielle Signifikant (Latten, Bretter) leistet einen komischen materiellen Widerstand.
Zu diesem Bild gibt es keine photo opportunity, nur die Information aus gut unterrichteten Kreisen, dass dieses Bild ursprünglich auf die Einladungskarte sollte – weise Berater sollen das verhindert haben. Die Geste dieses Bildes könnte Flick auf verschiedene Weisen adaptieren wollen: Weniger wahrscheinlich ist die, dass er sagen will, ihm sei das Problem einer solchen Verdrängung bekannt, daher könne er mit Kippenberger über solche Verdränger lachen. Denn wenn er sich die Arbeit und ihren Humor zu Eigen gemacht hätte, hätte er anders handeln müssen. Wahrscheinlicher ist, dass er das „Ich“, das hier spricht, gar nicht als Objekt der Lächerlichkeit versteht, sondern sich mit ihm identifiziert, in einer transgressiven, sich über die – again – Kleinmut und Bedächtigkeit der Moral und der Moralisierer in einem Anfall von durchgeknallter Grandiosität hinwegsetzend. Huah, huah, siehst du hier ein Hakenkreuz? Icke nüscht.
Dritte Möglichkeit: frei nach Uwe Nettelbeck. Das Bild „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz“ erkennen, soll nur über den Umstand hinwegtäuschen, dass der Rest der Ausstellung der Unkenntlichmachung von Hakenkreuzen dient.
Nachtrag: Eine weitere photo opportunity zeigt Bundeskanzler Schröder beim nachdenklichen Blick auf eine Serie von Arbeiten von Wolfgang Tillmans. Das sind Fotos von Soldaten auf Zeitungsseiten. Der Kanzler geht ganz nahe dran. Er ist erkennbar dabei, nachzudenken, ob es so weitergehen kann.
Organisiert von einem Bündnis aus Antifaschistischer Linker, dem Verlagsbuchladen b books, „Texte zur Kunst“ und einer langen Unterstützerliste, fand letzten Donnerstag in Berlin die Veranstaltung „Heil dich doch selbst! Die ,Flick-Collection‘ wird geschlossen. Vorträge. Statements. Visuals“ statt, an der unser Autor mit diesen Statement beteiligt war.