Endspurt zur Kiewer Revolution

In den letzten Tagen des Wahlkampfs in der Ukraine mobilisiert die „orangene“ Opposition noch einmal ihre Anhänger für den Sieg Juschtschenkos. Das konservative Lager wiederum will Kiew am Wahlabend mit Milizen besetzen. Es droht Konfrontation

AUS KIEW BARBARA OERTEL

Vor dem Sitz des ukrainischen Präsidenten, in der Uliza Luteranskaja, trotzen 50 Personen mit orangenen Mützen, Schals und Armbinden der eisigen Kälte. Sie umringen einen wild gestikulierenden Mann. Jaroslaw Piskun, Generalstaatsanwalt der Ukraine, hat keine Chance. Auch heute wird er wieder nicht an seinen Arbeitsplatz gelangen. „Wir lassen keinen durch“, sagt ein junger Mann aus Dnjepopetrowsk, der schon seit dem Beginn der orangenen Revolution in Kiew ist. „Wir bleiben so lange hier, bis der rechtmäßige Sieger der Wahlen auch wirklich Präsident ist.“

Die Skepsis der Anhänger von Wiktor Juschtschenko ist berechtigt. Seit gestern, drei Tage vor der Wiederholung der Stichwahl, prüft das ukrainische Verfassungsgericht auf Antrag von 46 Parlamentsabgeordneten die jüngsten Änderungen des Wahlgesetzes. Dabei geht es zum einen um die eingeschränkte Möglichkeit, an einem anderen als dem Wohnort abzustimmen, sowie die Vorschrift, dass nur noch Schwerbehinderte zu Hause wählen können. Besonders diesen Passus hatte der beurlaubte Premierminister Wiktor Janukowitsch noch einmal am Montagabend kritisiert und seinem Widersacher Wiktor Juschtschenko bei einer TV-Debatte vorgeworfen, rund 3 Millionen Ukrainer ihres Wahlrechts zu berauben.

Zumindest in der Hauptstadt kommt die Stimmungsmache von Janukowitsch, zu dessen Unterstützung „bewaffnete Truppen der Selbstverteidigung“ aus den östlichen Regionen am Wahlabend in Kiew eintreffen sollen, nicht an. Am Mittwochabend brachten Juschtschenko und seine Verbündeten noch mal 80.000 Menschen auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz Maidan zusammen. „Vor einem Monat haben wir die Wahlen gegen die Fälschungen verteidigt“, sagte Juschtschenko. „Millionen Menschen harrten bei Schnee und Eis aus, um ihre Freiheit zu verteidigen. Wir haben widerstanden, weil wir vereinigt sind.“ Immer wieder unterbrachen ihn Rufe wie „Juschtschenko, Präsident“ und „Wir sind viele, uns kann man nicht besiegen.“ Das dritte Jahrtausend in Europa sei durch die Ereignisse in der Ukraine begonnen worden, sagte Juschtschenko weiter, und: „Am 26. Dezember machen wir den letzten und entscheidenden Schritt.“ Julia Timoschenko, die eigentliche Managerin der orangenen Revolution und scharfe Gegnerin des Kompromisses zur Verfassungsreform, warf der Staatsmacht vor, das Verfassungsgericht unter Druck zu setzen, um das neue Wahlgesetz für verfassungswidrig zu erklären. Sie rief die Menschen dazu auf, nicht nachzugeben: „Kommt am 26. Dezember nach der Schließung der Wahllokale alle zum Maidan und bleibt bis zum Sieg.“