Der Straßenkampf

Die Entscheidung über die Rudi-Dutschke-Straße in Berlin ist auf 26. Januar vertagt

AUS BERLIN GEREON ASMUTH
UND THILO KNOTT

Die Entscheidung über eine Rudi-Dutschke-Straße in Berlin ist vertagt: Die zuständige Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Friedrichshain-Kreuzberg hat dies am Mittwochabend beschlossen. Mit dem Dringlichkeitsantrag der PDS-Fraktion wird sich die BVV am 26. Januar 2005 erneut befassen. Nach einer halbstündigen Diskussion beantragte die CDU eine Vertagung. Damit durfte die BVV laut Satzung nicht mehr zur Abstimmung schreiten.

Die PDS griff in ihrem Dringlichkeitsantrag, mit Unterstützung der Grünen, die taz-Initiative zur Umbenennung der Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße auf. Die taz hatte dies vor einer Woche gefordert, um einen Mann zu würdigen, der „die jüngere Vergangenheit Berlins wie der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich geprägt hat, der als Studentenführer eine gesellschaftliche Bewegung mit ausgelöst und getragen hat und der zum Symbol von Gegenöffentlichkeit und Meinungsfreiheit geworden ist“.

Die taz-Forderung hatte zuvor eine breite Diskussion in der Berliner Öffentlichkeit ausgelöst. Sie wurde unter anderem unterstützt von den Grünen-Spitzenpolitikern Jürgen Trittin und Claudia Roth, Berlins Bildungssenator Klaus Böger (SPD), dem Präsidenten der Berliner Akademie der Künste, Adolf Muschg, und Rudi Dutschkes Sohn Marek Dutschke. Gegen die Umbenennung sprachen sich der Berliner Exbürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) sowie der Geschäftsführer der Berliner CDU, Frank Henkel, aus.

In der BVV betonte Lothar Schüßler (PDS) die Dringlichkeit der Umbenennung. Anlässlich von Dutschkes 25. Todestages sei eine Straße „mit entsprechender Ausstrahlung“ notwendig. Die Kochstraße sei deshalb geeignet, weil sie im traditionellen Berliner Zeitungsviertel liege. Denn Dutschke habe stets für eine kritische Gegenöffentlichkeit gestanden.

Bedenken hat dagegen Christine Hauser-Jebs von den Grünen. Zwar bezeichnetet sie sich als „Dutschke-Fan“. In den späten 60ern habe sie im Fernsehen gesehen, wie die APO-Aktivisten von der Polizei verprügelt wurden. Als ihre Eltern sie mahnten, da könne sie sehen, was „mit diesen Pennern“ passiere, habe sie sich mit Dutschke solidarisiert – auch wenn sie erst heute, mit 50 Jahren, seine Texte wirklich verstehe. Dennoch betonte sie, die Bezirksverordneten hätten erst kürzlich beschlossen, dass Straßen so lange nur nach Frauen benannt werden sollen, bis diese gleichwertig vertreten seien. Zwar käme Dutschke demnach erst in 300 Jahren an die Reihe, so Hauser-Jebs, „aber dann wäre er für mich der Erste“.

Nicht ganz so weit hinausschieben will SPD-Fraktionchef Andreas Hehmke die Umbenennung. „Kreuzberg als ein Ort des antiautoritären und radikaldemokratischen Protestes ist der richtige Ort für eine Ehrung“, betonte Hehmke. Dennoch solle die BVV solch eine Entscheidung nicht übers Knie brechen. Er plädierte für eine umfassende Beratung in den zuständigen Fachausschüssen. Dem schloss sich Bernadette Kern, Fraktionschefin der Grünen, an: Dutschke selbst würde sich nicht wohl fühlen, wenn er mit einem administrativen Akt geehrt werde.

Dem Berliner Senat ist es ein Dorn im Auge, dass die Rudi-Dutschke-Straße am vorgesehenen Standort die seit einigen Jahren existierende Axel-Springer-Straße kreuzen würde. Dadurch werde eine Assoziation mit alten Konflikten aufgebaut, die es so nicht mehr gebe, wendet Berlins Bausenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) ein. Deshalb solle eine andere Straße nach Dutschke benannt werden. Dabei hat der Springer-Verlag selbst deutlich gemacht, dass er sich durch eine Rudi-Dutschke-Straße in unmittelbarer Nachbarschaft keineswegs provoziert fühlen würde. Sprecherin Edda Fels: „Wenn es zu einer demokratisch legitimierten Entscheidung kommt, werden wir diese respektieren.“

Eine weitere Hürde für eine Umbenennung: Der U-Bahnhof Kochstraße müsste vermutlich eine neue Bezeichnung bekommen, was die ohnehin gebeutelten Berliner Verkehrsbetriebe (BVV) einen sechsstelligen Betrag kosten könnte. BVG-Sprecher Klaus Wazlek: „Es ist nicht damit getan, ein paar neue Schilder an die Wand zu nageln.“

Die Umbenennung der Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße steht am 26. Januar wieder auf der Tagesordnung der BVV. Dann entscheiden die Bezirksverordneten entweder sofort oder verweisen das Thema in die Fachausschüsse. Diese werden sich damit aber schon vor der Sitzung Ende Januar beschäftigen, glaubt Bernadette Kern (Grüne). Der Berliner Senat verfügt in dieser Angelegenheit über kein Vetorecht. Einzig für die Anlieger der Kochstraße besteht die Möglichkeit, gegen die Entscheidung Einspruch einzulegen und zu klagen. Die Kochstraße ist nach dem Bäckermeister Johann Jacob Koch benannt, der um 1724 Berliner Vizebürgermeister war.

taz-Geschäftsführer Karl-Heinz Ruch sagte, er freue sich, dass „die BVV die Initiative aufgenommen hat und jetzt mit der gebotenen Ernsthaftigkeit diskutiert“. Eine Rudi-Dutschke-Straße in unmittelbarer Nachbarschaft zur Axel-Springer-Straße wäre „ein Akt der gesellschaftlichen Versöhnung“, erklärte Ruch.