Nicht unbedingt Idyllen

ZURÜCK IN KREUZBERG In der Lindenstraße zeigt die Galerie Nordenhake Fotografien von Michael Schmidt. Die Bilder aus über vier Jahrzehnten bieten einen umfassenden Überblick über seine Arbeit in Schwarz-Weiß

Es geht um etwas objektiv Vorhandenes, das als Foto Gültigkeit beansprucht

VON RONALD BERG

Michael Schmidt ist zurück in Kreuzberg. Das heißt, seine Fotografien sind zurück. Museen vom New Yorker MoMA bis nach Tokio haben seine durchweg schwarz-weißen Bilder schon ausgestellt. Die Galerie von Claes Nordenhake zeigt jetzt eine kleine Werkschau in der Kreuzberger Lindenstraße. Schmidt selbst war eigentlich nie weg. 1945 in Kreuzberg geboren und überwiegend hier aufgewachsen, hat er in fußläufiger Entfernung zur Galerie seit Jahrzehnten Atelier und Wohnung. In den Sechzigerjahren begann er zu fotografieren. Damals war er noch Polizist.

Aus den Sechzigern stammen auch die frühesten Aufnahmen bei Nordenhake. Berlin und Menschen sind die Motive. Doch sind Schmidts Fotos weder Porträts, noch liefern sie die üblichen Berlin-Motive. Man sieht das Stück eines Bachs, Leute auf der Straße, eine Frau mit erhobenen Händen vor dem Gesicht, einen Mann seitlich von hinten, Häuser – nichts Spektakuläres also. Aber es ist doch das, was als wesentlich für den Alltag von Zeit und Ort stehen kann. An Schmidts Einstellung hat sich seitdem nicht viel geändert. Es geht um etwas objektiv Vorhandenes, das als Foto Gültigkeit beansprucht. Die Kamera registriert, der eigentliche Wahrnehmungsapparat aber ist der Mensch dahinter. In den Siebzigerjahren werden Schmidts Bilder sachlich, übersichtlich und nüchtern. Die Stimmung ist grau, grau wie der stets bedeckte Himmel, die Siedlungshäuser im Wedding, die von Bomben ausgedünnten Mietskasernen in Kreuzberg oder die von Parkplätzen und Abstandsflächen umgebenen Betonneubauten. Menschen kommen auf den Bildern nicht vor. Solche Szenerien, von denen Nordenhake einige Beispiele zeigt, präsentieren ein Berlin so klar wie unbestimmt. „Irgendwo in Berlin“ könnte die Ortsangabe lauten. „Irgendwo“ heißt denn auch eine in den Jahren 2001–2004 entstandene Serie mit Ansichten von Eigenheimen, Supermärkten und Häuserwänden, von denen sich beim besten Willen nicht sagen lässt, wo Schmidt sie fotografiert hat.

Mit Berlin war Schmidt schon 1987 fertig, nachdem sein Buch „Waffenruhe“ herauskam. Nordenhake zeigt 15 Aufnahmen der vielteiligen Serie. Die Bilder zeichnen nicht nur das Bild einiger Westberliner Ecken nahe der Mauer sowie einzelne mit dem Blitzlicht aus dem Dunkel herausgeschnittene Jugendliche. Mit viel Unschärfe und begrenzten Ausschnitten geben sie vielmehr ein Bild von der Stimmung in der ummauerten Stadt der Achtzigerjahre. Eine düstere Atmosphäre, in der menschliches Leben offenbar eher in den Bars und Kneipen der Nacht anzutreffen war als in den Brachen im Schatten der Mauer.

Nach der Wende hat Schmidt in gleicher Nüchternheit wie vormals Hausfassaden nackte Frauen fotografiert, er hat mit abfotografierten Zeitungsporträts aus DDR, BRD, RAF und NSDAP seinen Kommentar zur deutschen „EIN-HEIT“ abgegeben oder Landschaften aufgenommen. Seit den Siebzigerjahren besitzt Schmidt im Kreis Lüchow-Dannenberg nahe der Elbe ein Ferienhaus. Wie in Berlin hat er hier das fotografiert, was vor der Haustür lag. Zum Beispiel Bäume mit Raureif am Wasser. Das erst jüngst entstandene Foto bei Nordenhake ist mit seinem trüben Himmel und den gekickten Ästen nicht unbedingt eine Idylle. Auch kann man nichts Ortspezifisches erkennen. Auch die Landschaft präsentiert sich hier als Irgendwo. Paradoxerweise macht gerade das Fehlen einer Identität der Orte das Charakteristische von Schmidts Aufnahmen aus. Damit liefert er nicht nur eine Zustandsbeschreibung der Lebensverhältnisse der großen Masse der Menschen hierzulande, die Schmidt als „entfremdet“ bezeichnet, sondern er bringt sich selbst dazu auf Abstand.

Dabei sind Schmidts fotografierte Un-Orte nicht wirklich hässlich. Die Proportionen der Bilder stimmen, das Schwarz-Weiß abstrahiert und überführt den banalen Einzelfall ins Allgemeine. In den New Topographics, einer Gruppe von US-Fotografen, die an der gleichnamigen Ausstellung von 1975 teilnahmen, fand Schmidt Geistesverwandte. Schmidt brachte den Ansatz und seine amerikanischen Protagonisten als Leiter der legendären Werkstatt für Photographie an der VHS Kreuzberg nach Deutschland.

Eines der in den letzten Jahren entstandenen Meeresbilder bei Nordenhake – nichts als Wasser und Himmel – scheint nun Schmidts bisheriger Haltung völlig entgegenzustehen. Hier geht es nicht um die zivilisatorische Alltagswelt, sondern um das Ewige und immer Wiederkehrende der Natur. Dieser „Seitenast“ seiner Arbeit habe wohl mit dem Alter zu tun, meint Schmidt. Im Grunde genommen liefert das Meer den Kontrapunkt zum Leben, das von den Koordinaten von Zeit und Raum bestimmt wird und, aufs Ganze gesehen, doch nur von kurzer Dauer ist.

■ Galerie Nordenhake, Lindenstr. 34, Di.–Sa. 11–18 Uhr. Bis 20. 6. www.nordenhake.com