Der Neusser Kanzlerkritiker: Hermann Gröhe

Feindbild Schröder: Der Menschenrechtsexperte der CDU, Hermann Gröhe, kritisiert den wirtschaftsfreundlichen Kurs des Kanzlers. Angela Merkel würde sich stärker engagieren, glaubt er – schließlich stamme die CDU-Chefin aus der DDR

Immer wenn der Kanzler lupenreinen Demokraten die Hand schüttelt, schimpft ein CDU-Abgeordneter aus Neuss. „Schluss mit der Leisetreterei“ polterte Hermann Gröhe auch beim Staatsbesuch von Wladimir Putin. Gröhe ist Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestagsausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe.

Die rot-grüne Bundesregierung gibt Gröhe seit Jahren viel zu tun. „Menschenrechte sind nicht mal mehr Verzierung, sie kommen gar nicht mehr vor. Und der grüne Koalitionspartner äußert Kritik nur in homöopathischer Dosierung.“ Besser können Menschenrechtsorganisationen nicht formulieren. Und Gröhe legt nach: „Wenn Bagdad so aussähe wie Grosny, würde sich Claudia Roth an die amerikanische Botschaft ketten und die Nahrungsmittelaufnahme verweigern.“

Da spätestens schimmert wieder die Aufteilung der Welt in Hemisphären durch. Die CDU kritisiert östliche Menschenrechtsverletzungen, die Linke westliche. Aber gegen diese Sicht wehrt sich der Bundestagsabgeordnete. Ausnahmen habe es immer gegeben: Für Sacharow setzten sich erklärte Linke ein, heftigste Kritiker der Apartheid waren Heiner Geißler und Norbert Blüm. Er selbst habe als Kreisvorsitzender der Jungen Union Neuss 1985 einen Artikel geschrieben: „Freiheit für Nelson Mandela“. Daraufhin habe ihm ein erregter Parteifreund vorgeworfen, er könne gleich Freiheit für das RAF-Mitglied Christian Klar fordern. Noch heute ärgern Gröhe die doppelten Standards, die in der Menschenrechtspolitik oft gelten: „Bei den kleinen Staaten ist man ganz mutig, kritisiert Burma, hält aber bei China und Rußland den Mund.“ Und schon ist er wieder beim Kanzler. „Schröder plant seine Auslandsreisen nur noch danach, ob ihm nachher der BDI-Chef applaudiert.“ Dabei sei ein Rußland der Willkür kein guter Standort für Investitionen.

Würde eine CDU-Kanzlerin alles besser oder zumindest anders machen? Seiner Parteichefin Angela Merkel unterstellt er ein hohes Engagement – dies habe mit ihrer DDR-Erfahrung zu tun. Gröhe selbst vertritt nicht immer den christdemokratischen Mainstream: Er votierte gegen den Irak-Krieg. Auch Guantanamo habe er öffentlich kritisiert, fordert die Anerkennung nichtstaatlicher geschlechtsspezifischer Verfolgung als Asylgrund. Der 43-Jährige wünscht sich eine rechtliche Besserstellung der geduldeten Flüchtlinge. Die so genannte Kettenduldung ist für ihn inakzeptabel.

Im Wahlkreis pflegt Gröhe Kontakte zu Amnesty International, zur Eine-Welt-Initiative, zu kirchlichen Gruppen. Am Stammtisch begegnet ihm dafür Unverständnis: „Kümmer Dich lieber um meinen Arbeitsplatz, meine Rente.“ Gröhe will dann klarmachen, dass Wohlstand auch von internationaler Stabilität abhängt. Mindestens genauso wichtig sei ihm aber der moralische Aspekt, sagt er. Auch in Neuss gibt es Verletzungen der Menschenrechte. Ein Arzt berichtete ihm, dass eine stillende Mutter von ihrem Baby getrennt wurde, weil sie im Neusser Abschiebegefängnis eingesperrt war. Gröhe sorgte für Abhilfe.

Menschenrechte – für Gröhe sind sie Teil seiner Biographie. Die Eltern flohen 1958 aus der DDR. 1969 fuhr er mit dem Zug das erste Mal über die innerdeutsche Grenze. Maschinenpistolen und Schäferhunde beeindruckten den Achtjährigen. In den Gastgeschenken hatten seine Eltern die Asthmamedikamente für die Großmutter versteckt. „Solche Erfahrungen prägen.“

LUTZ DEBUS