„Es geht zu Lasten der Identität der SPD“

Hans Koschnick, von 1965 bis 1985 Bremer Bürgermeister, mischt sich nach seiner Zeit in Mostar jetzt immer wieder in aktuelle Politik ein. Ihn treibt die Sorge um das Profil sozialdemokratischer Politik und die Sorge um die Existenz des Bundeslandes

taz: Sie sind vor bald 20 Jahren als Bürgermeister zurückgetreten, 1985. Das waren damals noch schöne Zeiten im Rathaus, verglichen mit den Sorgen von heute. Hans Koschnick: Naja, 1983 hatte ich die Werftenkrise, erzählen Sie mir nichts.

Da wurde die AG Weser geschlossen, Sie haben die Wahlen danach dennoch gewonnen. Die Wähler haben akzeptiert, dass ich ihnen die Wahrheit gesagt habe. Ein Rathaus kann keine Schiffbauaufträge besorgen. Der Bund hatte sich verweigert, der Eigentümer wollte nicht mehr, die Banken wollten nicht mehr.

Henning Scherf hat heute andere Probleme ... Ich beneide ihn nicht, in dieser Zeit Bürgermeister zu sein. Wir hatten damals schon Sparrunden, das waren aber mehr Ärgernisse im Verhältnis zu den Senatskollegen oder gelegentlich im Parlament. Aber er hat wirklich entscheidende Einschnitte bei den staatlichen Leistungen am Hals, das ist viel schlimmer.

Vor Weihnachten hat der Senat beschlossen, dass alle Zuwendungsempfänger fürs erste fünf Prozent weniger bekommen – alle Krabbelgruppen ...... und der Sport und die Kultur. Er muss in die freiwilligen Leistungen schneiden. Aber diese freiwilligen Leistungen waren diejenigen, die das Image der Stadt und die Verbundenheit des Bürgers zur Stadt verstärkt haben.

In Ihrer Zeit war Scherf Sozialsenator ... Er war Sprecher der Finanzdeputation und wurde dann Finanzsenator. Er hat damals die Verstärkung des öffentlichen Dienstes im Sinne von Keynes sehr gefördert. Aber ein Land wie Bremen kann das nicht allein, der Bund wollte es auch nicht mehr, auch in Europa kann heute nicht ein Land keynesianische Politik betreiben und alle anderen machen strenge Marktpolitik. Dann wurde er Sozialsenator, danach Bildungssenator.

Jetzt wird gerade in diesen Bereichen, die sozialdemokratisches Profil ausgemacht haben, abgebaut. Das muss für die SPD bedrohlich sein. Für mich jedenfalls, für die SPD kann ich ja nicht mehr sprechen. Meine Idee, eine sozial gerechte und verträgliche Bindung durch das Handeln des öffentlichen Bereiches zu erreichen, die geht verloren, wenn ich alle die Faktoren, die zu einer solchen Bindung führen, aus Finanzgründen nicht mehr fördern kann. Ich habe damals noch erreicht, dass die Ausländerkinder doppelt gerechnet wurden bei der Zuteilung von Lehrerstunden an unseren Schulen. Die Lehrer konnten sich mehr um die Kinder kümmern. Das einzige, was ich bei den freiwilligen Leistungen heute noch finanzieren kann, sind die Investitionen, aber nicht unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, sondern weil ich nur diesen Bereich nach dem Haushaltsrecht mit Krediten finanzieren kann.

Wenn Frau Röpke als Sozialsenatorin Sie fragen würde: Was soll ich tun? Soll ich diese Sparpolitik verantworten – oder soll ich besser sagen: Wir machen auch für Sozialausgaben weiter Schulden, nicht nur für Wirtschaftsförderung und so genannte Investitionen, und erzwingen eine Entscheidung auf der Ebene der Finanzausstattung der Länder – was würden Sie ihr raten? Das kann sie ja sagen, aber hat sie die Macht? Ich sage: Eine bestimmte Form des Bildungs- und des sozialen Netzes muss erhalten werden, wenn das Profil sozialdemokratischer Gesellschaftspolitik noch wirken soll. Und wenn ich das allein in diesem Lande nicht kann, dann muss die Frage gestellt werden: Kann ich persönlich noch Einschnitte in einem solchen Maße verantworten? Da muss ich der SPD sagen: Ihr habe alle gesellschaftlich wichtigen Ressorts abgegeben, um euch den Lasten zu stellen – ich finde das sehr mutig, aber es geht ein bisschen auch auf die Substanz einer Identität der sozialdemokratischen Gesellschaftspolitik. Die Wirtschaftsinvestitionen werden ja interessanterweise in der ganzen Welt als notwendig angesehen, auch wenn sie Schulden bringen. Mir ist damals vorgeworfen worden, ich sei ein Arbeitsplatzfetischist, weil ich mich stark für Daimler eingesetzt habe und für die Raumfahrt. Es ging bei mir aber nicht zu Lasten der sozialen Sicherheit.

Mit Mercedes hatten Sie ein gutes Händchen ... Die 3.000 Arbeitsplätze in der Luft- und Raumfahrt, die alle nicht mehr da wären – die zählen nicht?? Sie sagen immer nur Daimler. Daimler hat der großen Zahl der Metallarbeiter eine gute Perspektive gegeben. Aber die Entwicklung liegt da nicht in Bremen, bei der Raumfahrt doch. Da haben wir nicht nur EADS, sondern auch die kleinen mittelständischen Betriebe. Auch die Universität dürfen Sie nicht vergessen. Wir haben am Anfang nicht gesehen, dass es nicht genügt, eine preiswerte Universität, d.h. nur die Geisteswissenschaften, zu fördern. In der Umsteuerung ist das dann korrigiert worden. Was wäre Bremen heute ohne die Universität, auch wirtschaftlich, ökonomisch?

In den letzten Jahren hat der Senat seine Sanierungspolitik und seine Wirtschaftspolitik auch mit der Notwendigkeit begründet, Arbeitsplätze zu schaffen, aber er hat ein schlechteres Händchen gehabt. Das weiß ich nicht.

Kennen Sie ein erfolgreiches Beispiel staatlicher Wirtschaftspolitik – abgesehen von der Rettung der Stahlwerke? Das dürfen wir getrost Klaus Wedemeier verdanken. Es hängt aber immer davon ab, ob ein Partner da ist, der diese Dinge mitmacht.

Die große Koalition hat stark auf den Tourismus gesetzt. Da gab es viele Flops. Das sagen Sie. Ich bin kein Tourist in Bremen.

Bezahlen tun das ja nicht die Touristen, sondern die Bremer wie Sie. Sagen wir vorsichtig so (verschmitzt): Wir haben einige Großinvestitionen gemacht, deren Folgen bis heute wirken. Space Center. Musical Theater. Botanika. Dafür wird jetzt ja die Arberger Marsch touristisch interessant aufgearbeitet, nicht wahr?

Die Arberger Marsch? Haben Sie nicht gelesen, dass da künftig die Pferde trainiert werden für den Vahrer Rennsport und so? Ich gebe zu, dass ich dagegen gekämpft habe. Was ist Tourismus? Wenn er funktioniert, ist das eine Chance. Aber eins war klar: Wir können den Touristen keine Alpen bieten. Kulturell habe wir einiges zu bieten, aber das bringt keine Dauerbeschäftigung. Beim Tourismus ist die Frage: Wie groß ist unser Einzugsgebiet? Können wir trotz wissenschaftlicher Gutachten damit rechnen, dass so viele Menschen in bestimmten Situationen hier hin kommen wollen? Ich weiß aus Zeiten, als ich noch Sportamtsleiter war, dass wir den Einzugsbereich von Werder Bremen übersehen können. Der endete in Nienburg, weil die Nienburger für Hannover waren. Er endete mitten in Rotenburg, die einen waren für den HSV die anderen für Werder. Oldenburg, Osnabrück, Ostfriesland. Da leben aber maximal 1,5 bis 2 Millionen. Keine fünf Millionen Menschen. Wenn ich bei ganz interessanten Angeboten auf fünf Millionen setze, kann ich sie für ein, zwei Tage herziehen, und dann?? Aber das ist von klugen Leuten anders gesehen worden. Die haben Gutachten geschrieben, aber sie kommen nicht auf für die Fehlinvestitionen.

Die derzeit politisch Verantwortlichen beteiligen sich nicht an der Diskussion um die Zukunft Bremens. Von da gibt es nur: Alles ist gut, wir haben da einen Brief in der Tasche ... Solange ich in Verhandlungen bin, kann ich nicht auftreten und sagen: Ich gehe nach Karlsruhe. Ich sage: Bremen muss erneut vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Aber der Verhandlungspartner darf die andere Seite nicht in die Lage bringen, dass ihm gesagt wird: Mit euch rede ich nicht mehr, gehe erst nach Karlsruhe. Ich möchte, dass im stillen Kämmerlein gründlich vorgearbeitet wird. Die Diskussion um die Selbstständigkeit Bremens ist nicht mehr die alte. Dass wir die Außenwirtschaft vertreten, spielt in Europa keine Rolle mehr, weil wir grenzüberschreitend arbeiten. Aber ob Bremen als föderativer Staat notwendig für Berlin ist oder nicht, diese Frage muss untersucht werden. Bismarck war der Meinung, er brauche für seine Staatsgründung einige große, einige mittlere und kleinere Länder.

Die Zentrale braucht die Kleinen? Natürlich. Es wäre nicht gut, wenn der Bund gegliedert wäre in sieben große Länder.

Ich verstehe die taktischen Rücksichtnahmen des Senats. Aber man kann doch nicht der Bevölkerung über Jahre sagen: Alles wird gut, es geht aufwärts, wir haben Erfolge ...

Verzeihen Sie, aber das ist eine große Koalition. Die besteht aus zwei großen Parteistrukturen. Wenn beide sich darauf verständig haben, sich gegenseitig nicht weh zu tun, ist es ganz schwer für die Minderheit, durchzudringen. Leider. So sehr ich für die große Koalition war, so sehr zeigt sie doch, dass Innovation kaum noch stattfindet aus dem politischen Dialog. Nun sieht man sowohl bei der SPD wie bei der CDU, dass die Jüngeren auf eine andere Struktur drängen. Aber gute innovative Ideen nützen wenig, wenn kein Geld da ist. Wir brauchen ganz eindeutig eine andere Verteilung im föderativen Finanzsystem.

Die wird es bis 2019 nicht geben.Da bin ich nicht sicher.

Es gibt das Finanzausgleichsgesetz, das gilt bis 2019. Bremen hat zugestimmt. Ich sage: Schon im Jahre 2006 wird die Problematik des ostdeutschen Bereiches und die der Länder mit unzureichender Finanzausstattung voll auf den Tisch kommen. Ich sehe keine Lösung mehr vor der Bundestagswahl. Aber ganz gleich wer hinterher regiert, er wird um eine Frage nicht herumkommen: Der Finanzausgleich muss verändert werden oder der föderative Staat fährt gegen die Wand.

Fragen: Klaus Wolschner