„Beethoven war ein Partyschreck“

Die Distanz zur Klassik: André Hatting und Matthias Käther haben sich gefragt, wie man diesen Abgrund überbrückt. Ihr preisgekröntes Hörspiel „Komponisten-Coaching“, ab heute im Kulturradio des RBB, spielt mit Biografien und Klischees

INTERVIEW MATTHIAS ECHTERHAGEN

taz: Herr Hatting, Herr Käther, klassische Musik mögen Sie wohl nicht besonders?

André Hatting: Wir lieben sie. Sonst hätten wir eine Hörspielserie wie „Komponisten-Coaching“ gar nicht schreiben können. Wenn es dort etwas lustig und derb zugeht, dann, weil wir vielleicht einen anderen Zugang zur Klassik haben.

Deshalb schicken Sie nach dem Zeitmaschinenprinzip fünf berühmte Komponisten in ein Coaching-Seminar von heute. Der Coach, Hanno G. Strässner, ein windiger Medienprofi, trifft auf Mozart, Beethoven, Schumann, Verdi und Tschaikowski – Figuren, die Sie allesamt satirisch überzeichnen.

Matthias Käther: Ja. Natürlich reizen wir Klischees aus, wir gehen bis zur Grenze. Aber alle haben auch historisch belegbare Züge: Beethoven war tatsächlich ein ständig mies gelaunter Partyschreck, Schumann sprang von einer Rheinbrücke und lallte dann nur noch vor sich hin, Tschaikowski war schwul, Verdi ein landliebender Menschenfeind und hoffnungslos cholerisch, und Mozart war sexfixiert und schrecklich albern. Wir wollen zeigen, dass die großen Komponisten auch nur Menschen waren – mit ihren Ecken und Kanten, und das auf eine respektvolle wie freche Weise.

Das Seminar beginnt mit einem Warming-up, und Strässner zeigt sich überzeugt: Die Komponisten brauchen dringend ein Update. Wie genau haben Sie die Sprache der Medien untersucht?

André Hatting: Strässner ist ein Zutexter, einer, der den zeitgenössischen Medienjargon professionell beherrscht. Diese Sprache bilden wir ab. Aber der größte Spaß bestand für uns beim Schreiben nicht im Wiederkäuen von Modewörtern, sondern darin, dass wir Neues und Altes aufeinander prallen lassen.

Inwiefern?

Matthias Käther: Was an den Komponisten „genial“ ist, ihre persönliche Seite, wird von Strässner als lästig und verstaubt empfunden. Dabei sind es gerade diese Eigenheiten, die sich auch in ihren Werken niederschlagen und erst ihre Einzigartigkeit ausmachen. Das rafft Strässner natürlich überhaupt nicht, so wie es moderne Marketingstrategen nicht raffen, dass man diese Musik mit einem Kuschelimage beschädigt.

Strässner scheitert schließlich an der verschrobenen Weltfremdheit der Komponisten …

André Hatting: Ja. Strässner will den Komponisten Dinge vermitteln, die sie gar nicht brauchen. Beethoven muss nicht wissen, wie er wirkungsvoll über die Bühne geht – für seine Arbeit ist das ganz unwesentlich. Manchmal ahnt Strässner das auch. Wenn er Verdis durchgeknallte Wabernebel in seiner Bühnenshow bewundert oder Mozarts Idee, dass ihm seine drallen Gogos die Kleider vom Leib reißen sollen. Aber dann stellt sich immer heraus, dass die Herren viel schriller sind, als es der Coach fassen kann.

„Komponisten-Coaching“ ist bespickt mit Insider-Anspielungen – eine Szene aus Verdis Rigoletto hier, Beethovens späte Streichquartettfuge da. Bedient Ihre Serie, bei aller allgemein verständlichen Mediensatire, nicht in erster Linie den Klassikkenner?

Matthias Käther: Nein. Der Laie soll auch auf seine Kosten kommen. Man kann ja Beethovens „Mondscheinsonate“ schön finden, ohne deren Aufbau zu verstehen. Genau das wollen wir: dass man sich erlaubt, ein gutes Klassikstück wie einen guten Popsong zu genießen.

Das heißt, Sie sprechen vor allem junge Menschen an?

Matthias Käther: Das hoffen wir! Zwar ist es für viele junge Leute immer noch erstrebenswert, ein klassisches Instrument zu spielen. Trotzdem werden die Rezipienten von klassischer Musik immer weniger. Wenn das so weitergeht, hat das Kulturradio in zwanzig Jahren keine Hörer mehr.

Warum?

André Hatting: In der Schule bekommt man meist dieses weihevolle, genialische Bild von Komponisten vermittelt. Das hält sich meistens auch im Erwachsenenleben durch. Wie durch ein Fernrohr rückt dadurch alles auf weite Distanz. Wir wollen wieder mehr Nähe zu den Komponisten herstellen. Klar, dass dabei auch mal eine Warze oder ein schlechter Zahn ins Blickfeld rückt. Aber die Musik wird dadurch wieder das, was sie mal war: persönlich, sinnlich, frei von Staub.

Unterm Strich betrachtet ist Ihre Serie doch auch sehr provokant – allein Schumann, der andauernd nur Dinge sagt wie „Pedalflügel“ oder „Schumi will ein Überraschungsei“. Fürchten Sie da nicht, dass sich die älteren Hörer beschweren?

Matthias Käther: Ehrlich gesagt, diese Angst hatten wir wirklich ein bisschen. Aber die zwei Folgen, die bei der Preisgala gelaufen sind, waren ein Erfolg. Zum andern haben wir ein paar Probe-CDs verschickt, gewissermaßen zum Testen der Reaktionen. Und die waren verblüffend positiv. Selbst Hörer in unserem Bekanntenkreis über 65 mochten die Stücke. Spannend bleibt es für uns natürlich bis zur letzten Minute.