Die Lehre nach dem „Pallas“-Schock

Beim Havariekommando Cuxhaven sind alle Befehlsstrukturen von Bund und Ländern für Seenotfälle gebündelt. Zwei Jahre nach ihrer Gründung muss die einzigartige Einrichtung den Ernstfall aber noch bestehen. Hamburg hilft bei Brandbekämpfung

„Wir haben Flugzeuge, die nachts per Sensor Ölverschmutzung aufspüren können“

von Kai von Appen

Es klingt makaber – gerade aus dem Munde eines Umweltschützers: „Das Havariekommando würde es heute nicht geben, wenn nicht die ‚Pallas‘-Katastrophe gewesen wäre“, bringt es Hans Ulrich Rösner vom Projektbüro Wattenmeer des World Wide Fund for Nature (WWF) in Husum nüchtern auf den Punkt. Und auch der Leitende Branddirektor der Hamburger Feuerwehr, Peer Rechenbach, lässt keine Gelegenheit aus, an das Katastrophenmissmanagement von 1998 zu erinnern. Er hatte im „Pallas“-Untersuchungsausschuss den Finger in die Wunde gelegt: Wenn die Hambuger Berufsfeuerwehr von den zuständigen Stellen rechtzeitig angefordert worden wäre, hätte es das Desaster im Wattenmeer vor Amrum nie gegeben.

Inzwischen ist nach vielen Standortquerelen und Kompetenzgerangel in Cuxhaven das Havariekommando entstanden. Rösner: „So sehr wir auch glauben, dass das Havariekommando auf einem guten Weg ist – es ist nicht perfekt.“

Das Kommando existiert verbrieft seit 1. Januar 2003, befindet sich aber immer noch im Aufbau. Die eigenen Räume sind noch nicht fertig, so dass es momentan beim Wasser- und Schifffahrtsamt an der Cuxhavener Mole residiert. Dennoch verspricht Leiter Hans-Werner Monsees schon heute. „Ein solches Chaos, wie bei der ‚Pallas‘ wird es nicht mehr geben.“

1998 war der kleine – eigentlich harmlose – Holzfrachter vor Dänemark in Brand geraten. Die Besatzung wurde gerettet, dann trieb das Schiff im Sturm brennend und manövrierunfähig in der Nordsee. Niemand fühlte sich zuständig. Auch als es in deutsche Gewässer durch den Wind gedrückt wurde, herrschte Zuständigkeitschaos. Keiner wollte für die Bergungskosten aufkommen, bis der Havarist vor Amrum strandete. Obwohl die „Pallas“ mit 1.900 Tonnen vergleichsweise wenig Öl an Bord hatte, löste sie eine Umweltkatastrophe aus, die auch die viel zu spät eingesetzten zwölf Öl-Bekämpfungsschiffe nicht mehr verhindern konnten. 16.000 Seevögel verendeten, die nordfriesischen Strände wurden mit Öl verseucht.

Seit 2003 liegt das Unfallmanagement nun beim „Havariekommando Deutsche Küsten“ in Cuxhaven in einer Hand. „Wir haben Zugriff auf alle verfügbaren Fahrzeuge“, erläutert Monsees. Das schließt nicht nur die Schiffe des Bundes unter der Obhut der Wasser- und Seefahrtsämter mit ein, sondern ebenso Schiffe der Wasserschutzpolizeien der Länder und der städtischen Feuerwehren, die Bundesgrenzschutzkreuzer der Küstenwache, die Zoll- und Lotsenboote und die Seenotrettungskreuzer sowie in speziellen Fällen sogar Schiffe der Bundesmarine. „Wenn es zu einer Havarie kommt, hat das Havariekommando die Einsatzlage an sich zu nehmen, da muss nicht lange diskutiert werden“, so Monsees selbstbewusst.

Der Krisenstab, der sich 24 Stunden in Rufbereitschaft befindet, ist bei einem Notfall binnen 45 Minuten einsatzbereit. Er verfügt über ein „maritimes Lagezentrum“ – eine gemeinsame Funk- und Koordinierungszentrale der Schifffahrtsämter sowie der Wasserschutzpolizeien, bei dem küstenweit alle wichtigen Infos eintreffen werden. „Wenn Kräfte, von wem auch immer, angefordert werden“, so Monsees, „dann sollen sie nicht, sondern dann haben sie zu kommen.“ Dass dies heute möglich ist, sei ein rechtspolitischer Staatsakt gewesen. Die gesetzlichen Grundlagen regelt inzwischen ein Staatsvertrag. „Alles, was Bund und Länder zu machen haben, ist nun bei uns gebündelt.“

Seither ist das Havariekommando Cuxhaven für den Küstenschutz an Nord- und Ostsee zuständig. Jeden Morgen um 8 Uhr melden die Institutionen der Küstenländer und des Bundes die Positionen ihrer Schiffe dem Lagezentrum, damit dieses weiß, welche Fahrzeuge sich wann, wie, wo im Einsatz befinden und im Ernstfall zu ordern sind. Wenn es Alarm gibt, diktiert das Havariekommando die Verwendung. „Wir nutzen die Fahrzeuge, wie wir es für richtig halten, da hat niemand anders mehr Einfluss drauf“, sagt Monsees, „so kann ein Marineschiff auch nur zur Verletztenversorgung eingesetzt werden.“

Das Havariekommando selbst verfügt in der Nordsee über drei Schiffe: Den gecharterten Hochsee-Notschlepper „Oceanic“ und die bundeseigenen Mehrzweckschiffe „Mellum“ und „Neuwerk“. In der Ostsee stehen die gecharterten Notschlepper „Bülk“ für Schleswig-Holstein, die „Fairplay 25“ und „Fairplay 26“ für Mecklenburg-Vorpommern und die bundesbetriebenen Mehrzweckschiffe „Scharhörn“ und neuerdings auch die „Arkona“ rund um die Uhr zur Verfügung. Das Konzept: Gerät ein Pott in Seenot, sollen Schlepper oder Mehrzweckschiffe, die auch Öl absaugen und in kleinen Mengen aufnehmen können, binnen zwei Stunden beim Havaristen sein. „Wir haben zudem Tanker unter Charter, die wir schnell an den Havaristen zum Umpumpen heranführen können“, fügt Monsees hinzu.

Auch Gewässerschutz und -überwachung unterliegen dem Kommando. „Wir haben täglich zwei Luftüberwachungsflugzeuge, von Marinepiloten geflogen, im Einsatz, die auch nachts mit ihren Sensoren vorsätzliche Ölverschmutzungen aufspüren können“, berichtet der Kommandochef. „Die Abschreckung per Flugzeug ist enorm.“ Diese Kontrollflüge werden mit den dänischen, britischen und holländischen Behörden abgestimmt, die ebenfalls fliegende Spüraugen in der Luft haben. Monsees; „Damit keine Lücken entstehen.“

Überhaupt scheinen mittlerweile auf dem Meer die Grenzen aufgehoben. So gibt es „Quick-Response-Zonen“, also Seegebiete vor Dänemark oder Holland, in denen deutsche Rettungskräfte unter der Regie des Kommandos im Ernstfall eigenständig agieren können. Da braucht es der Kommandoleitung zufolge keinerlei diplomatischer Abstimmung mehr.

Aus den Erfahrungen der „Pallas“-Katastrophe ist mittlerweile ein neues Rettungssystem erarbeitet worden. So kann das Havariekommando heute bei der Verletztenversorgung auf Einsatzteams der Feuerwehren aus allen Küstenländern zurückgreifen. „Wir haben 65 Notärzte auf See ausgebildet“, berichtet Monsees. „Die scheuchen wir vier Tage lang durch das gesamte Programm, um zu sehen, wie belastbar sie sind.“ Schließlich nütze ein guter Notarzt, der seekrank werde, im Ernstfall nichts.

Bei der speziellen Schiffsbrandbekämpfung kann das Havariekommando „Task Force“-Einheiten aus Hamburg, Wilhelmshaven, Flensburg und Brunsbüttel anfordern. In Hamburg sind sogar zwei Gruppe einsatzbereit, die speziell aus den Erfahrungen der „Pallas“ ausgebildet worden sind.

In einem Punkt hält sich Kommandochef Monsees allerdings bedeckt: Wenn es um die Liste möglicher Zufluchtsplätze für Havaristen geht. Da sagt er nur: „Es gibt eine Liste von 40 Notliegeplätzen, die ist aber geheim.“ Damit ist ein Papier über die Nothäfen sowie Notliege- und Reedeplätze gemeint, zu denen im Ernstfall ein Havarist geschleppt werden kann, um ein Desaster wie beim Untergang der „Prestige“ zu vermeiden. Der marode Tanker war vor zwei Jahren vor der spanischen Küste in Sennot geraten und hilflos ins Meer geschleppt worden, weil niemand die Notsituation in seinem Territorium verantworten wollte. Auf hoher See brach die „Prestige“ auseinander: 90.000 Tonnen Öl verschmutzten 3.000 Kilometer Küste, ein kontrolliertes Eingreifen hätte wahrscheinlich das Ausmaß auf wenige Kilometer begrenzen können. „Ein Schiff muss immer näher an die Küste herangeholt werden, um effektiv tätig werden zu können“, erklärt Monsees.

Wenn das Havariekommando einen Nothafen bestimmt, könne dieser Hafen nicht mehr mitbestimmen, sagt er klipp und klar. Schleswig-Holstein ist das erste Küstenland, dass einen Nothäfen-Gesetzentwurf auf den Weg gebracht hat. Die anderen Küstenländer sollen in den kommenden Monaten folgen. „Seit der ‚Pallas‘ ist einiges passiert, wir sind aber noch nicht am Ende“, lautet das Resümee von Monsees. In der Tat: In den zwei Jahren seit Gründung des Havariekommandos war die Einrichtung in fast 100 Notsituationen involviert. Aber der Ernstfall, der in der viel befahrenen Kadetrinne in der Ostsee lauert, blieb bisher aus.