Spucken und zucken

Dieter Robl ist der Starter auf der Schanze von Oberstdorf und kennt die Macken der Skispringer ganz genau

OBERSTDORF taz ■ Andreas Goldberger ist der Spucker, Georg Späth der Klopfer. Der Oberstdorfer schlägt sich immer ein paar Mal auf die Oberschenkel, wenn es ernst wird. Und Adam Malysz stiert einfach nur Richtung Nebelhorn, bevor er auf dem Balken über der Anlaufspur Platz nimmt. Es ist der einsamste Moment im Leben eines Skispringers. Dort oben am Anlaufturm hilft kein Trainer oder Servicemann weiter. Einmal in der Spur gibt es kein Zurück mehr.

Dieter Robl hat all die kleinen Gesten und Ticks der Athleten in diesen Augenblicken vor dem Sprung abgespeichert. Er weiß, wann Martin Schmitts Kopf eigenartig zu zucken beginnt, dass Florian Liegl immer mit seiner rechten Hand den Sprung von oben bis unten simuliert und dann erst losfährt. Einmal im Jahr ist der 63-Jährige den Helden des nordischen Skisports zum Anfassen nah, und doch sind sie in ihren Gedanken meilenweit von ihm entfernt. Dieter Robl wird auch morgen wieder jener Mann sein, der als Starter oben am Anlaufturm der Oberstdorfer Schattenbergschanze steht, mit Kopfhörer und Mikrofon ständig Funkkontakt zur Rennleitung hält und darauf achtet, dass beim Auftaktspringen der Vierschanzentournee am Balken alles seine Ordnung hat. Er wird öfter im Bild zu sehen sein als Janne Ahonen, Georg Späth oder jeder andere Springer. Und doch nimmt ihn wohl wieder keiner der Fernsehzuschauer so richtig wahr.

„Mich fasziniert ganz einfach der Kontakt zu den Springern“, erklärt Dieter Robl beim Ortstermin in luftiger Höhe, warum er sich jedes Mal von neuem auf die Tage nach Weihnachten freut. Seit sieben Jahren übernimmt der Hausmeister des VdK-Waldhotels am Christlessee bei der Vierschanzentournee die Funktion des Starters. Zuerst war er Gehilfe der Oberstdorfer Skispringerlegende Peter Leitner, und nach dessen Ausscheiden vor vier Jahren trat er die Nachfolge als Chef am Balken an. Mittlerweile assistiert ihm sein Sohn Stefan. Vater und Sohn genießen den Job auf dem Wahrzeichen ihrer Heimatgemeinde, egal ob es an ihrem exponierten Arbeitsplatz schneit, regnet oder windet. „Denn wir sind bei dieser großartigen Veranstaltung nicht nur dabei, sondern mittendrin“, zitiert Vater Robl den Spruch eines deutschen Fernsehsenders, und sein Sohn nickt zustimmend.

Das mit dem Kontakt zu den Athleten ist allerdings so eine Sache. „Den Springer am Start anzusprechen ist tabu“, stellt der Oberallgäuer klar. Beim Training grüßt der Lokalmatador Georg Späth schon mal mit „Servus“. Ansonsten herrscht eisiges Schweigen hoch oben über der WM-Skisprungarena Oberstdorf. „Die Südkoreaner haben einem immer die Hand gegeben – egal ob beim Training oder im Wettkampf“, erzählt Dieter Robl. Doch die freundlichen Asiaten sind heuer nicht dabei. Warum, das weiß er nicht.

Dieter Thoma, Ari-Pekka Nikkola oder Masahiko Harada – Dieter Robl hat schon so manchen Springer kommen und wieder gehen gesehen. Und was hat sich im Laufe der Zeit verändert? „Die Konzentrationsphase ist noch intensiver geworden“, findet der Experte, der selber nie aktiver Springer war. Oftmals seien die Gesichter der Athleten wie versteinert. „Erst recht beim Skifliegen“, fügt er hinzu. Dieter Robl erinnert sich noch gut daran, wie beim Skiflug-Weltcup im vergangenen Februar ein Sturm den gigantischen Anlaufturm der Heini-Klopfer-Schanze zum Wackeln brachte. „Da war allen ganz anders zumute“, erinnert sich Robl. „Das hat man jedem angesehen.“

Auch Janne Ahonen, dem Überflieger dieser Saison. Ansonsten zeigt der kühle Finne bekanntlich kaum Emotionen. „Aber ich glaube, das ist ein ziemliches Schlitzohr“, so Robls Fazit von den vielen Begegnungen mit dem coolen Skandinavier. „Jedes Mal, wenn er sich auf den Balken setzt, meine ich, dass er ein bisschen lächelt.“

ROLAND WIEDEMANN