Qualität zum Lachen

Aufklärerische Schwermut und bitterer Spott: Das „Jahresendzeitprogramm 2004“ im Mehringhof-Theater

Ein kleiner Satellit hängt hoch über der Erde und vermittelt all die Telefongespräche, die hinterher wieder keiner geführt haben will. „Ich ruf dich nicht mehr an“, und „Ich bin gleich da, kannst du mich schon sehen?“ Horst Evers leidet mit dem kleinen Satelliten. Beim politischen Kabarett ist linker Wertkonservativismus nie weit, doch beim „Jahresendzeitteam“ hält er sich im Hintergrund – oder ist nicht schlimm, weil der Witz hinhaut.

Es ist drängelvoll im Mehringhof-Theater. Mut fassen, Kraft schöpfen und unterhalten werden: So gelagert sind die Wünsche an den Abend und das fünfköpfige Kabarettistenteam. Kein Sternenschmuck ist zu sehen, als hätte Weihnachten nie stattgefunden. Das Publikum wirkt wie ein Familienausflug des öffentlichen Diensts: „Dann bis Montag in der Schule“, sagt man sich fatalistisch lächelnd zum Abschied.

Mit dem Beitrag „Im Dunkeln tippen mit kleinem Dunkeln“ will Bov Bjerg, der neben Manfred Maurenbrecher und Horst Evers zur Besetzung des „Mittwochsfazits“ gehört, ein Rechtschreibreformfeuer entfachen. Nicht der große Knaller, doch keine der an die zwanzig Nummern, mit denen „Jahresendzeitteam“ 2004 Revue passieren lässt, hängt völlig durch. Bei dem Politikerdarsteller Hannes Heesch wäre das allein wegen seines Könnens unmöglich: Der Dialog zwischen Günter Netzer und Gerhard Delling geht zwar nicht so ganz nach vorne los wie die mimischen Karikaturen von Müntefering und Schröder, die sind dafür von bitterer Deutlichkeit. Man sieht Heesch die Anstrengung an, die es kostet, Verteidigungsminister Struck zu sein, und in seinen Auftritten klingt eine eigene aufklärerische Schwermut an.

Christoph Jungmann gibt Angela Merkel, die mit ungewohnt femininer Beherztheit durch den Abend führt. Ein abgehangener Bühnenhase, routiniert schlagfertig und mit Freude an der Improvisation. Vor der Pause singt er ein ergreifendes Lied: Die Stimme melodiös und süß, träumt das Mädchen Angela von einer Rückkehr nach Templin. Manfred Maurenbrecher begleitet auf dem Klavier, gibt das Genie aus der Unterschicht und begütigt seine Visionen mit einem Hau-drauf-Optimismus, damit man nicht still wird und weint.

Maurenbrecher ist das Berliner Original, das gleich ans Herz geht, während Horst Evers zu den Menschen gehört, die zunächst einen Ablehnungsreflex auslösen. Bald aber denkt man, dass der Typ klasse ist: wie er so übernaiv nachfragt und am Endes seines Räsonierens auf die Idee kommt, die BVG könne im Irak Metrobuslinien einrichten.

Abgesehen davon, dass die Bestuhlung ist zu eng ist und den ganzen Abend lang die eigenen Oberschenkel an die der Sitznachbarn gequetscht werden, kann man den Besuch des „Jahresendzeitprogramms 2004“ getrost empfehlen. Jeder der fünf Kabarettisten ist preisgekrönt und verfügt über einen eigenen Spott. Das Programm ist schön lang, und es bietet gediegene Kleinkunst. Ein dicker, fetter, anarchischer Lacher, dass sich die Balken biegen, fehlt allerdings. Im Nachhinein vermisst man Laurenz Meyer, der leider nicht vorkommt.

Zum Schluss weht dann doch noch einmal Weihnachten herein. Dem Tannenbaumliefereranten Maurenbrecher wird ein großes Lagerfeuer bereitet. Dann ist Schluss mit Lichtleinbrennen. Das „Jahresendzeitprogramm 2004“ könnte die Menschen noch mehr aus der Reserve locken. Es müsste etwas anstrengender sein.

KATRIN SCHINGS